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Sinnfreie Pilgerfahrt nach Nirgendwo

REST DER WELT / BAYREUTH / TANNHÄUSER

27/07/11 Pünktlich zur 100. Ausgabe der Bayreuther Festspiele gibt es eine kleine Revolution. Bei der Premiere des “Tannhäuser“ bleibt der berühmte, kunstvoll geraffte Vorhang offen und während der langen Pausen zwischen den Aufzügen wird das Publikum fakultativ bespaßt, etwa durch wummernde Soundkulissen, das Zelebrieren einer an Schlingensiefs Kirche der Angst erinnernde Messe und zahlreichem weiteren, semi-szenischen Tand.

Von Jörn Florian Fuchs

Alles neu in Bayreuth? In gewisser Weise ja. Doch das Neue ist nicht immer das Gute. Wohl selten wurde eine Aufführung im Festspielhaus vom Publikum derart vehement abgelehnt, wohl noch nie gab es derart geschlossene Buhs für die Regie, das Dirigat und eine wesentliche Sängerin.

Das alles war anfangs noch nicht absehbar. Der erste Eindruck ist lediglich etwas merkwürdig. Regisseur Sebastian Baumgarten hat sich vom bildenden, vielleicht auch ein wenig eingebildeten Künstler Joep van Lieshout eine raumgreifende Installation kreieren lassen: ein dreigeschossiges Gerüst bietet ganz oben eine Art Schlafsaal, in der Mitte ist ein Büro, auf der unteren Ebene steht der „Alkoholator“, nebst etlichen Tonnen, Schläuchen, eigenartigen Gerätschaften. Der Sinn des Ganzen: man erzeugt aus Biogas berauschende Säfte, die sich eine vorwiegend hässlich grell kostümierte Gesellschaft einverleiben. Gelegentlich kommt aus dem Unterboden ein Käfig, in dem Urmenschen und urwüchsiges Getier hausen und sich Kopulationen hingeben. Dieses „System“’ aus Triebabfuhr und Triebmittelzufuhr ist an sich eine recht spannende Ausgangsposition. Man könnte sich schon irgendwie vorstellen, wie sich da Tannhäuser (nicht) einfügt, wie er sich zwischen Ur-Venus und einer dem Suff eher abgeneigten Elisabeth hin und her bewegt. Leider kommt Baumgarten nicht übers „irgendwie“ hinaus, rasch entgleitet ihm wirklich jede Figur und jeder Konflikt ins völlig Beliebige und Belanglose.

Venus ist überraschenderweise beim Sängerwettstreit dabei, außerdem wurde sie offenbar von Tannhäuser geschwängert, am Ende bekommt sie nämlich ein Kind. Und das, obwohl Elisabeth mit dem Sänger-Ritter kurz mal im Amöben-Venusberg verschwunden war. Während des Vorspiels flimmert ein Filmchen mit Verdauungsprozessen und Ansichten innerer Organe vorüber (Videos: Chris Kondek), später taucht eine Marienfigur mit wackelnden Füßchen auf. Einzelne Szenen, besser gesagt: unzusammenhängende szenische Zustände, werden durch eingeblendete Songtitel der Hardrockband Rammstein verbunden („Laichzeit“, „Bestrafe mich“) – Rammstein ist die Lieblingsband von Katharina Wagner. Die Liedtitel sind dabei ebenso sinnfrei eingesetzt wie diverse Projektionen mit Phrasen wie „Liebe = Lynchjustiz“ oder auch das sehr unwitzige Schlusszitat „Ich bin der Welt noch einen Tannhäuser schuldig“. Schon klar, das schrieb einst Richard Wagner, nun gibt es uns eben Baumgarten mit auf den Weg.

Für diese sinnfreie Überfrachtung mit Thesen und Kalauern dürfte Carl Hegemann verantwortlich zeichnen. Hegemann ist Vater des Skandal-Töchterchens Helene („Axolotl Roadkill“) und im Hauptberuf Deutschlands verwirrtester Dramaturg. Mehr gibt es zum zähen Szenischen nicht zu sagen, außer dass rund 50 Mitglieder eines Katharina Wagner treuen Förderervereins auf der Bühne sitzen dürfen (oder müssen).  Ebendort hört man bekanntlich Sänger und Orchester etwas zeitversetzt, doch auch auf den gewöhnlichen Plätzen war das diesmal so. So groß war die Distanz zwischen Graben und Bühne wohl selten, so unpräzise wie im zweiten Aufzug hörte man den Chor kaum, so unbalanciert wie Thomas Hengelbrock hat sicher noch nie jemand einen Tannhäuser in Bayreuth dirigiert. Hengelbrock bietet ein paar interessante Details, schöne, neuartige Auffächerungen der Instrumentengruppen, größtenteils allerdings versuppt alles im Ungefähren. Dazu werden Tempi verschleppt, dynamische Bögen verzerrt – das Ergebnis: ein Buhsturm.

Angeblich gibt es auf dem Grünen Hügel mit Eva Wagner-Pasquier ja eine Sängerexpertin. Diese Produktion jedoch ist schlechter besetzt als eine durchschnittliche Stadttheateraufführung. Lars Cleveman etwa müht sich monochrom durch die Titelpartie, Stephanie Friede ist als Venus schlicht indiskutabel – sie kam nach den ausschließlich ablehnenden Publikumsreaktionen kein zweites Mal mehr zum Verbeugen auf die Bühne. Camilla Nylund singt so wie immer: immer an der Grenze, mit Schärfen in der Höhe, nur solider Mittellage, aber recht angenehmer Tiefe. Einzig Michael Nagy (Wolfram von Eschenbach), Günther Groissböck (als Landgraf, der sich kurzzeitig sehr ungalant an Elisabeth ranmacht) und Katja Stuber (als Hirte) sind festspieltauglich. Enttäuschend auch die zweite Reihe, mit Arnold Bezuyens Heinrich und Thomas Jesatkos Biterolf.

Nach dem ersten Aufzug herrschte einige Augenblicke lang Fassungslosigkeit, bevor ein kurzer Applaus einsetzte, am Ende gingen Venus, Hengelbrock und das Regieteam in einem sehr kurzen, aber heftigen Buhgewitter unter.

Die Bayreuther Festspiele dauern bis 28. August. - www.bayreuther-festspiele.de

 

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