Sir John in Verdis Sant’Agata

REST DER WELT / ZÜRICH / FALSTAFF

28/03/11 Sven-Eric Bechtolfs Neuinszenierung von Verdis Alterswerk in Zürich bietet zwar keine neuen Einblicke, ist dafür ein sicherer Wert. Seh- und hörenswert ist das Ensemble.

Von Oliver Schneider

Wenn sich der Vorhang öffnet, sitzt der gewiefte, dicke Ritter Sir John nicht im verwinkelten Gasthaus „Zum Hosenbande“ in Windsor im 16. Jahrhundert, sondern in einem mit weißen Balken und Dach angedeuteten Gasthaus unter südlicher Sonne, für das Rolf Glittenberg Verdis letzten Landsitz in Sant’Agata bei Busseto als Anregung nahm. Der Name Glittenberg sagt schon alles: Für einen bühnenbildnerisch-ästhetischen Abend ist gesorgt. Marianne Glittenberg war um die Kostüme besorgt. Die spießigen Fords & Co. erscheinen einmal mehr im Look der dreißiger Jahre. Das Warum lässt sich allerdings – anders als zum Beispiel bei der Wiener „Arabella“ – nicht beantworten. Sir John und sein Umfeld hingegen sind – im wahrsten Sinne des Wortes – in Roben gehüllt, die an die Renaissance angelehnt sind. Damit ist Falstaff als Außenseiter gekennzeichnet, aber es gibt Durchlässigkeiten, indem sich nämlich Alice Ford, ihr eifersüchtiger Gatte und vor allem Mrs. Quickly kleidungsmäßig an den verarmten Ritter anpassen, wenn sie ihm ihre Streiche spielen.

Die Glittenbergsche Bühne und die Kostüme bieten nicht nur den idealen Rahmen für Bechtolfs konventionelle, aber intelligente Regie. Sie werden ähnlich wie bei den Hermanns zu einem elementaren Element der Inszenierung. Für Verdis „Falstaff“ erscheint dies legitim, denn hier ist Naturalismus am Platz. Wenn Ford gemeinsam mit einer Schar von Carabinieri den Ritter im Biedermeier-Salon seiner Frau verzweifelt sucht, er stattdessen aber seine Tochter mit dem jungen Fenton inflagranti erwischt, sind Paravent und natürlich der Wäschekorb unverzichtbare Requisiten. Für den sind übrigens die Bediensteten im Hause Ford zu schwach. Das Damenquartett leert den Korb selbst mit dem versteckten Ritter in die … Ongina. Damit erlaubt sich Bechtolf auch eine klare Aussage dazu, wer im Haus Ford und beim Streich etwas zu sagen hat. Alice Ford lässt sich die Zügel nicht einen Moment aus der Hand nehmen, was Barbara Frittoli mit einem Anflug von Diva auch gebührend hinüberbringt.

Beim Zürcher Publikum stößt diese Neuinszenierung – wie nicht anders zu erwarten – auf Zustimmung, denn Bechtolf hat das pointenreiche Libretto Arrigo Boitos so sensibel umgesetzt, dass die lyrische Komödie nicht zu einem derben Lustspiel wird.

Luftig geht es auf der Bühne zu, nicht allerdings im Orchestergraben. Chefdirigent Daniele Gatti betreut erstmals in Zürich eine Neuinszenierung. Für ihn steht nicht das Komödienhafte im Vordergrund, sondern die tragische Gestalt des Ritters, weshalb er auch über wesentliche Strecken nicht um eine Aufhellung des dunklen Orchesterklangs bemüht ist. Vor allem im ersten Bild würde man sich weniger Massivität und mehr Sensibilität bezüglich der Lautstärke wünschen. Der kompakte Klang hat auch zur Folge, dass sich in der Orchesterbegleitung im ersten Akt eine gewisse Spannungslosigkeit einstellt. Wie genau Verdi instrumentiert hat, zeigen die Musiker dann im letzten Bild, in dem Eva Liebau als Nannetta und Javier Camarena als Fenton für herrliche lyrische Momente sorgen.

Ambrogio Maestri ist so etwas wie der Falstaff vom Dienst, weltweit und nun auch in Zürich. Dass er ein echter Singschauspieler ist, beweist er, indem er sich als nachdenklicher Alter ideal in Bechtolfs Konzept einzufinden weiss und sich von bisherigen Rollendeutungen lossagen kann. Stimmlich lässt er keine Wünsche offen, trumpft förmlich auf, was zuweilen die Dimensionen des Hauses sprengt.

Massimo Cavalletti gibt den Vater Ford mit Kraft. So wie er seine große Arie im ersten Bild des zweiten Akts anlegt, verleiht er dem scheinbar gehörnten Ehemann fast schon jagohafte Züge. Hervorragend besetzt sind die von Barbara Frittoli als Alice angeführten lustigen Weiber. Die Frittoli ist mit ihrem üppigen und kultiviertem Timbre, ihrem Piano und dem kontrollierten Vibrato kombiniert mit ihrer Ausstrahlung eine Idealbesetzung für die Spielmacherin. Als Mrs. Quickly setzt Yvonne Naef einen stimmlichen Akzent.

Vorstellungen bis 17.6. - www.opernhaus.ch