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Die Welt braucht eher Fragen als Antworten

REST DER WELT / BERLINALE

17/02/11 Die Berlinale versteht sich traditionell als das „politischste“ unter den großen Festivals. Doch was bisher an Wettbewerbsbeiträgen geboten wurde, konnte weder politisch noch ästhetisch überzeugen. Mit dem iranischen Beitrag „Nader and Simin, a Separation“ hat die Berlinale endlich den ersten großen Bären-Favoriten.

Von Renate Wurm

Der iranische Film „Jodaeiye Nader Az Simin“ („Nader and Simin, a Separation“) von Asghar Farhadi blickt auf zwei Familien, eine aus dem Mittelstand und eine aus ärmeren Verhältnissen. Der Alltag gerät aus den Fugen, als sie aufeinander treffen. Nader und Simin wollen sich scheiden lassen, weil Simin ins Ausland gehen will, damit ihre gemeinsame Tochter nicht „unter diesen Bedingungen“ aufwächst. Nader hingegen will seinen an Alzheimer erkrankten Vater nicht allein zurücklassen. Die beiden trennen sich und  Nader muss eine Pflegerin einstellen, die jedoch bald mit der Betreuung des alten Herren überfordert ist. Einerseits weil die schwangere Frau mit der schweren und schlecht bezahlten Arbeit nicht mehr zurechtkommt, andererseits weil sie ihrem arbeitslosen Mann verschwiegen hat, dass sie in einem fremden Haushalt etwas dazuverdient. Als die Frau den verwirrten Mann für ein paar Stunden alleine im Haus zurücklässt, kommt es zum Eklat, Nader wirft sie gewaltsam aus der Wohnung, tags darauf erleidet sie eine Fehlgeburt. Als es zu einer Anklage kommt, eskaliert die Situation.

Regisseur Asghar Farhadi, der schon 2009 für „Elly“ einen „Silbernen Bären“ erhielt, entwirft hier ein vielschichtiges Gesellschaftsbild des heutigen Iran, in dem Moral und Verantwortung, Tradition und Moderne aufeinander prallen. Dabei verzichtet er auf eine simple Schwarz-Weiß-Malerei, teilt nicht in Gut oder Böse, sondern führt subtil und aufwühlend die Rollenverhältnisse einer Gesellschaft vor, die seit 32 Jahren von den Mullahs regiert wird. - Ein würdiger Preisträger, darüber sind sich Publikum und Fachpresse seit der umjubelten Premiere einig.

Für sein Regie-Debut hat sich Schauspieler Ralph Fiennes einen sehr politischen Stoff ausgesucht. Mit dem 1607 entstandenen Theaterstück von William Shakespeare „Coriolanus“ versuchte er das Stück um Machtgier und Rache in die Gegenwart zu transformieren - und ist kläglich daran gescheitert. Was Baz Luhrmann mit „Romeo und Julia“ in Originalversen erfrischend und modern gelungen ist, wirkt bei Fiennes, der selbst die Hauptrolle spielt, hölzern und langweilig bemüht.

Auch der russische Film „V Subbotu“ („An einem Samstag“) hat ein politisches Thema verschenkt. Samstag, 26. April 1986: Im Kernkraftwerk Tschernobyl ist ein Reaktorturm explodiert. Während die Parteileitung diese Katastrophe noch geheim halten will, beschließt der junge Parteifunktionär Valerij Kabysh mit seiner Freundin aus der Stadt zu fliehen. Doch niemand in seinem Umfeld nimmt die Lage ernst und kann die Tragweite erfassen. Basierend auf der wahren Geschichte hat Regisseur Alexander Mindadze die erfolglose Flucht dieses Mannes mit einer Nerven aufreibenden Wackelkamera verfolgt und am Ende verlässt man das Kino mit dem erschöpften Gefühl, man sei selbst bei einem sinnlosen Marathon mitgelaufen.

Dass der mexikanische Erstlingsfilm „El Premio“ („The Prize“) zur engeren Auswahl von Preisträgern gezählt wird, dürfte wohl weniger an der politisch motivierten Geschichte als an der unglaublich starken schauspielerischen Leistung der etwa siebenjährigen Hauptdarstellerin liegen. Der Film spielt in Argentinien Ende der siebziger Jahre. Die autobiographische Geschichte der Regisseurin Paula Markovitch erzählt von der Zeit, als sie sich mit ihrer Mutter in einem abgelegenen Strandhaus vor der Militär-Junta verstecken musste. Trotzdem darf sie in die Dorfschule gehen. Als die Kinder einen Aufsatz zum Lob auf den Soldaten schreiben sollen, kommt es beinahe zur Katastrophe.

Mit unglaublicher Natürlichkeit und Authentizität spielt Paula Galinelli Hertzog die junge Protagonistin Ceci, der man anfänglich vergnüglich zusieht, wie sie den Strand trotz Regen, Kälte und trister Stimmung zu ihrer großen Spielwiese macht. Darüber vergisst die Filmemacherin leider ihre übrigen Figuren, die konturlos und oberflächlich bleiben. Und das Spielen am Strand erschöpft sich letztendlich in den wiederkehrenden Bildern und Motiven.

„Das Publikum soll das Kino mit Fragen verlassen“, meinte der iranische Regisseur Asghar Farhadi bei der Pressekonferenz. „Ich glaube, die Welt heutzutage braucht eher Fragen als Antworten.“ Für die restlichen Festivaltage wünschen sich das wohl noch alle Zuschauer.

Die Berlinale dauert bis 20. Februar. - www.berlinale.de
Bilder: Berlinale


 

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