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Meisterhafte Pilgerfahrt

REST DER WELT / COVENT GARDEN / TANNHÄUSER

16/12/10 Fast immer gerät der Schluss irgendwie lächerlich. Der den Fängen von Lustgöttin Venus entronnene Rompilger Tannhäuser harrt seiner Höllenfahrt, da erblüht plötzlich sein Wanderstab und widerlegt somit den Fluch des Papstes. Das Wunder wirkt dramaturgisch reichlich angeklebt, aber wenn man es weglässt, kann man eigentlich gleich die ganze Oper vergessen.

Von Jörn Florian Fuchs

In London hat Tim Albery nun eine ganz einfache und sehr berührende Lösung parat: ein Kind pflanzt einen Setzling in die Erde. Es ist der Hirtenjunge, welcher zu Beginn unter einem großen Baum saß, er sang dort sanfte Kantilenen und wurde neben der Wagnerflöte auch von leisen Glockentönen begleitet. So schlicht und klar sind viele Bilder des Abends.

Albery arbeitet vor allem mit feinen Lichtstimmungen und schafft oft eine irreal verschwommene Atmosphäre, dennoch sind die Protagonisten und Konstellationen sehr präzise gezeichnet. Anfangs ergibt sich eine erstaunliche Parallele zu Claus Guths Tannhäuser vom letzten Sommer an der Wiener Staatsoper.

In beiden Produktionen ist Tannhäuser erstmal ein bloßer (Theater)Zuschauer, wo Guth allerdings rasch seine übliche psychoanalytische Konzeptmaschinerie anwirft, wird in London ausführlich getanzt. Geschlagene dreißig Minuten lang kreiert das Königliche Ballett einen Venusbergexzess vom Feinsten, aber ohne Zoten, ohne Obszönität. Man spielt die Ouvertüre nebst französischem Bacchanal und die Tänzer geben alles – für uns und für den ebenfalls gebannt zusehenden Tannhäuser.

Auf der Bühne des Royal Opera House steht für dieses Theater im Theater ein zweiter Prozeniumsbogen und auch der rote Samtvorhang mit den königlichen Insignien hat ein Double. Bald bricht diese theatrale Scheinwelt um und kippt ins Reale, wobei Zeit und Ort unbestimmt bleiben.

Die Sänger und Pilger sind größtenteils bewaffnet, es muss eine Niederlage gegeben haben, denn im zweiten Aufzug liegen Prozeniumsbogen und Requisiten zerstört herum. Elisabeth grüßt diese düstere Halle in edler Marientracht. Im Schlussakt geht es dann langsam wieder an den Aufbau von Ordnung, Welt und Moral.

Sieht man von ein paar Spannungsdellen im zweiten Akt ab, ist Alberys Arbeit überaus gelungen. Doch das eigentliche Wunder geschieht auf der musikalischen Seite.

Von Semyon Bychkov war man bisher eher laute und grobe Töne gewöhnt, unvergessen bleibt etwa sein übersteuerter, pompöser Mahlerzyklus mit dem Kölner WDR-Orchester. Umso erstaunlicher nun das Tannhäuser-Dirigat: nie zu laut, genau auf die Sänger fokussiert und gerade so schwelgerisch, dass kein Kitsch entsteht. Ganz wunderbar ist auch die ‚Raummusik’, wenn Bläser aus dem Rang oder hinter der Bühne spielen. Und noch ein Wunder: gleich drei Partien sind identisch mit der Wiener Besetzung, trotzdem klingt alles in London erheblich besser.

Johan Botha stemmt die mächtige Partie mühelos bis auf ganz wenige Wackler gegen Ende, Michaela Schuster, die bei Guth unerotisch-ältlich und stimmlich matt wirkte, scheint wie ausgewechselt: eine dunkel glühende Verführerin mit überaus ansprechendem Timbre. Christof Fischesser singt den Landgraf Hermann prächtig-voluminös und Christian Gerhaher steigert seinen sensationellen Wiener Wolfram nochmals. Auch die ekstatisch applaudierenden Londoner ließen ihn kaum von der Bühne gehen.

Lediglich eine Enttäuschung bleibt zu verbuchen. Ausgerechnet Eva-Maria Westbroek, der gerade mit dem „Faust“-Theaterpreis geehrte Shootingstar, kann als Elisabeth nicht wirklich überzeugen. Zu heldisch, zu grell tönt das, dabei geht die Zerbrechlichkeit der Figur fast unter – die einzige Merkwürdigkeit in einer ansonsten phänomenalen Aufführung, die derzeit wohl ihresgleichen sucht.

 

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