Brünnhilde rettet die Walküre

REST DER WELT / MAILAND / WALKÜRE

09/12/10 Nicht nur in unseren Gefilden herrscht gerade strenger Winter, auch Mailand versinkt im Schnee und daher harrten dieses Jahr nur die Hardcore-Demonstranten aus, um die traditionelle Saisoneröffnung an der Scala aufzumischen. Es blieb weitgehend friedlich und die Proteste richteten sich vorwiegend gegen die schon realisierten bzw. anstehenden Einsparungen im Kulturbereich. Eine überaus enttäuschende Saisoneröffnung in Mailand.

Von Jörn Florian Fuchs

Auch Daniel Barenboim nutzte die mediale Aufmerksamkeit zu einer kleinen Protestnote, in fließendem Italienisch. Die Folge war heftigster Applaus und schon ging es mitten hinein in Wagners regennassen Orchestersturm, der bekanntlich bald den herumirrenden Siegmund zu seiner äußerst übel verheirateten Schwester Sieglinde führt. Während es Barenboim so richtig krachen lässt, herrschen auf der Bühne – wie schon beim Rheingold – vor allem die Videogötter. Große Leinwände, Paravents, eine sich drehende Kugel, fast alles wird zur Projektionsfläche für allerlei Konkretes wie Abstraktes. Wenn es um Wotan geht, so erscheint dieser etwas verändert als Foto, beim Thema Wolf sieht man ebenjenes Tier. Auch verschmelzende Körper und virtuelle Naturstimmungen gibt es reichlich, bis auf das Vater-Tochter-Kammerspiel im dritten Aufzug hört das Geflimmer niemals auf, die eigentlichen Figuren stehen meist ratlos, Rampen orientiert herum.

Regisseur Guy Cassiers zeigt keinerlei Charaktere, seien es nun Menschen oder Götter, er läßt nur Allerweltsoperngesten und eine bisweilen peinliche Pathosgrammatik zu. Die einzige interessante Bildidee ist ein Wald aus beleuchteten Speeren, doch gerade als die bedrohlichen Menetekel wie Bäume beleuchtet werden und sich Siegmund und Sieglinde dort verirren, da fällt ein Beamer aus und somit verpufft auch dieser Effekt. Am einfältigsten wirkt der Walkürenritt, dabei laufen Matronen in edler Lederkluft herum, im Hintergrund sieht man gemorphte Pferde. Der finale Feuerzauber lässt Brünnhilde gen Himmel fahren, wo sie ein Gewirk aus Infrarotlampen erwartet…

Misswende folgt den Protagonisten leider nicht nur szenisch, auch musikalisch wird man nicht wirklich glücklich. Daniel Barenboim arbeitet vor allem die düsteren Details der Partitur gut heraus und manche Streicherpassage geht schon unter die Haut. Immer wieder jedoch überdreht er arg, dann wiederum gehen einschlägige Motive plötzlich im Gesamtbrei unter, hinzu kommen Intonationsprobleme und Ungenauigkeiten.

Sängerisch hat die Premierenbesetzung etliche renommierte Namen zu bieten. Waltraud Meier, immer noch eine hervorragende Isolde, bleibt als Sieglinde vor allem in der Mittellage blass, ihre Höhen dagegen überzeugen. Simon O’Neill gibt den Siegmund vokal am unteren Limit, Vitali Kowaljow (Wotan) braucht eine lange Vorglühzeit, um seine recht nasalen Drohtöne in melancholische Wohlklänge zu transformieren. Eher mittelprächtig war Ekaterina Gubanova als Fricka, John Tomlinson wirkte in der Rolle des eigentlich sehr brutalen Bösewichts Hunding bei Cassiers eher wie ein englischer Gentleman, der auf seinen Whisky wartet. Von Wagners stimmtechnischen Wünschen lässt sich Tomlinson dabei nicht beeindrucken, er orgelt sich wie ein raubeiniger Shantysänger durch die Partie. Das ist zwar falsch, aber irgendwie interessant falsch.

Dass dieses gedankenarme und schnell leer laufende Bildertheater kein völliges Desaster wird, ist einzig Nina Stemme zu verdanken. Stemme interpretiert die verstoßene Brünnhilde mit ungemein warmem Timbre und ist außerdem szenisch äußerst präsent. Sie wird zum einzigen wirklichen Star in einer Produktion, die sich avantgardistisch gibt, aber letztlich nur eines ist: High-Tech-Staub.