Dido und Aeneas am Sternenhimmel

BERLIN / LES TROYENS

07/12/10 Der Deutschen Oper Berlin gelingt mit einer Neuinszenierung von Berlioz’ Mammutwerk „Les Troyens“, geleitet von Donald Runnicles, ein musikalischer Erfolg. Die szenische Lösung von David Pountney befriedigt nur teilweise.

Von Oliver Schneider

Vor der Premiere im winterlichen Berlin hatten Vertreter des Orchesters das Publikum mit Flugblättern auf den hängigen Tarifkonflikt mit der Opernstiftung aufmerksam gemacht. Dass das Orchester der Charlottenburger Oper seit Jahren im Vergleich mit anderen bundesdeutschen Orchestern schlechter bezahlt wird und Stimmführerpositionen vakant sind, hat sich zum Glück nicht auf die musikalische Leistung in der Premiere von Berlioz’ letzter Oper „Les Troyens“ ausgewirkt. Donald Runnicles, der seit letzter Spielzeit amtierende Generalmusikdirektor, leitete seine erste Neuinszenierung, und das Orchester gab sich alle Mühe, diesen Abend im in die Jahre gekommenen Nachkriegszweckbau zu einem musikalischen Markstein werden zu lassen.

Die unterschiedlichen Klangsprachen der Troja- und der Karthago-Akte – hier ein an Gluck angelehnter leidenschaftlicher, dort ein heroischer Ton – verbinden sich unter Runnicles umsichtiger Stabführung zu einer musikalischen Einheit. Er lässt die Interpretationskunst Berlioz’ in all ihrem Reichtum aufscheinen, indem er die Musiker zu einer durchsichtigen Stimmdurchdringung anhält. In Shakespearescher Manier folgen bei Berlioz intime Soloszenen auf gewaltige Massenszenen, die Runnicles als imposante Klangtableaus inszeniert, ohne ins Pathos zu verfallen. In diesen Momenten beweist der von William Spaulding einstudierte Chor des Hauses, das er zu Recht heuer und letztes Jahr in der Kritikerumfrage zum Chor des Jahres gewählt worden ist.

Auch die Berliner Besetzung braucht Vergleiche nicht zu scheuen. Petra Lang gibt die Cassandra mit durchdringender, großer Stimme und personifiziert mit ihrer Bühnenpräsenz den Untergang Trojas. Béatrice Uria-Monzon als Karthager-Königin Dido ist der Lang zwar nicht ganz ebenbürtig, leistet aber ebenso Großartiges. Ihre Dido ist betörend sowie leidenschaftlich glühend und durchlebt die Höhen und Tiefen der menschlichen Gefühlsskala glaubhaft.

„Les Troyens“ ist eine Frauenoper, der Held Aeneas bildet das Bindeglied zwischen Cassandra und Dido, an dem Berlioz aber musikalisch nur wenig Interesse zeigt. Ein eindimensionaler Kraftprotz, was Ian Storey leider noch dadurch verstärkt, dass er gar nicht erst den Versuch macht, dynamische Facetten der Partie auszukosten. Dafür setzen Reinhard Hagen als Didos Minister Narbal mit seinem elegant-markigen Bass und Markus Brück als kantabler Cassandra-Liebhaber Choroebus Akzente. Gregory Warren überzeugt mit seinem makellosen lyrischen Tenor als Hylas und Iopas und bewältigt am Ende der Arie des letzteren im vierten Akt mühelos den Sprung in die hohe Quinte. Als Aeneas’ Sohn Ascanius lässt Heidi Stober aufhorchen, Liane Keegan gibt Didos Schwester Anna ohne Fehl und Tadel.

Anders als Dirigent, Orchester, Chor und Solisten musste das Regieteam um David Pountney auch Buhrufe einstecken. Der Intendant der Bregenzer Festspiele zeigt auf gewohnt effektvollem Niveau und mit Flair für das Arrangement von Massen den Gegensatz zwischen der grauen, kriegerischen Männerwelt, symbolisiert durch die Trojaner, und der lieblichen und utopisch-friedlichen Frauenwelt Didos. Die von Berlioz verfolgte Linie über Homer, Vergils Versepos, das die Grundlage für das von ihm selbst verfasste Libretto bildete, bis zum französischen Kaiserreich spiegelt sich nur ansatzweise in den Kostümen wieder (Marie-Jeanne Lecca).

Eine zweite Verbindung zwischen Troja und Karthago stellt Pountney über Cassandra selbst her, die am Ende des fünften Akts Dido als Auferstandene oder Geist bei ihrem Selbstmord auf dem Scheiterhaufen schwesterlich zur Seite steht und dazu Annas Gesangspart übernimmt. Auch das Bühnenbild spiegelt diese Parallele (Johan Engels), denn beide Frauen sterben in einem Gitterrost, an dem sich am Ende des zweiten Akts noch Trojanerinnen fest krallen und mit Händen und Füssen gegen die Griechen wehren, bevor sie mit Cassandra in den Tod gehen. Mit hartem Metall ist die Männerwelt zerstörerisch in die Frauenwelt eingedrungen. Etwas plakativ, aber plausibel erzählt.

Manches geht allerdings an diesem Abend über die Kitsch- und Geschmacksgrenze hinaus. Dazu zählt die Bebilderung des großen Liebesduetts von Dido und Aeneas im vierten Akt, während dessen die beiden in einem Kreis ähnlich Da Vincis vitruvianischem Menschen am Sternenhimmel schweben. In die Kategorie der Peinlichkeiten gehören die plumpen Choreographien von Renato Zanella. Mit dargestellten Vergewaltigungen der Frauen zu Berlioz’ fantastischer königlicher Jagd greift er immerhin Pountneys zentrales Thema auf. Lieber hätte man aber auf die Balletteinlagen so wie Herbert Wernicke 2000 in Salzburg in seiner kongenialen Inszenierung verzichten sollen.

Weitere Vorstellungen: 11., 16. und 19. Dezember; 6., 11. und 20. März 2011. - www.deutscheoperberlin.de.
Deutschlandradio Kultur überträgt „Les Troyens“ am 11. (19.05 Uhr, 1. bis 3. Akt) und 12. Dezember (20.03 Uhr, 4. und 5. Akt).
Deutsche Oper Berlin / Matthias Horn