Doppelmörder und Don Juan

ZÜRICH / OPERNHAUS / URAUFFÜHRUNG

12/10/10 Für den Doppelmörder, Tyrann und Madrigalkomponisten Carlo Gesualdo haben sich schon Alfred Schnittke und Salvatore Sciarrino interessiert. Der französische Komponist Marc-André Dalbavie geht in seinem Werk insoweit einen neuen Weg, als er sich ausschließlich dem Lebensende des Renaissance-Fürsten widmet: Marc-André Dalbavies erste Oper „Gesualdo“ im Opernhaus Zürich uraufgeführt.

Von Oliver Schneider

Ein erschöpfter Greis, der sich noch für Musik interessiert – im dritten Akt liegt sogar sein Klavier nur noch in Trümmern. Und für junge Frauen. Als tief religiöser Mensch lässt er sich dafür regelmäßig von seinen Dienern zur Busse auspeitschen.

Quasi als Teamarbeit zwischen Komponist, Librettist und Regieteam ist Dalbavies erste Oper entstanden. Von Libretto zu reden, verbietet sich bei dem kunstvollen Text von Richard Millet, der vielmehr ein Theaterstück in Anlehnung an die großen französischen Tragödien geschrieben hat. Da Dalbavie sich mit seinem „Gesualdo“ in die Nachfolge der venezianischen Deklamationsoper und der französischen Tradition angefangen bei Lully bis zu Debussy begeben hat, kann man jedem Wort der linearen Handlung folgen. Zum Glück stehen in Zürich auch Solisten mit guter bis sehr guter französischer Diktion auf der Bühne.

Dalbavie und Millet haben kein Historiengemälde entworfen, sondern streichen die Ichbezogenheit und Überheblichkeit von Carlo Gesualdo hervor und ziehen damit die Parallele zum Heute. Seine zweiten Frau Eleonora, sein Sohn Emmanuele und dessen Frau Polissena, alle sollen mit ihm bis zu seinem Tod in Venosa um ihn bleiben, seine Melancholie erdulden und unter seinen Seitensprüngen leiden. Das flämisch-französische Regie-Duo Moshe Leiser und Patrice Caurier konzentriert sich ganz auf die Personenzeichnung und –führung und verzichtet auf irgendwelche eigenen Interpretationen. Die Spielfläche ist mit Wänden begrenzt, eine Kammer wird immer wieder von unten oder von links herauf- oder hereingefahren. Baumstämme rechts hinten und Bäume, die in einem Video am Berghang geschlagen werden, erinnern daran, dass Carlo Gesualdo aus Angst von Rächern seines Doppelmordes alle Bäume um sein Schloss fällen ließ (Bühnenbild: Christian Fenouillat, Video: Timo Schlüssel). Die Kostüme nehmen Elemente aus verschiedenen Epochen auf, besonders prachtvoll das Kleid Eleonoras (Kostüme: Agostino Cavalca).

Genau wie Gesualdo, den Dalbavie in „Gesualdo“ immer wieder von sechs Madrigalisten singen  lässt, ist der Jüngere in seiner Weiterentwicklung der Spektralmusik auf der Suche nach Konsonanz. Geheimnisvoll und distanziert ist seine Tonwelt, in der er die Aufteilung in Oktaven aufhebt, stellenweise allerdings auch gleichförmig. Wenn die Sänger deklamieren, ist der Orchesterklang zuweilen so ausgedünnt, dass es zu Spannungsabfällen kommt, die auch das ausgezeichnete Orchester des Opernhauses unter der Leitung des Komponisten nicht kaschieren kann.

Die Partie des alternden Gesualdo ist bei Rod Gilfry darstellerisch in guten Händen, seine Höhenunsicherheit legte sich im Laufe des Premierenabends (9.10.).  Als ein in die Jahre gekommener Don Giovanni hat er wie die übrigen Protagonisten Vorfahren in der Operngeschichte. So ist seine nur scheinbar duldsame zweite Ehefrau Eleonora eine Mischung aus Fricka und Donna Elvira (ausgezeichnet Liliana Nikiteanu), ihre Dienerin Francesca und Gesualdos jüngstes Subjekt der Begierde eine Carmen-Nachfolgerin (Hélène Couture mit klar-flutendem Mezzo).

Am Ende gab es einhelligen Jubel für Komponist, Librettist und alle Beteiligten. Ein interessantes, intellektuell aber wenig forderndes, leicht zugängliches Werk, das wohl deshalb auch andernorts bald nachgespielt werden wird.

Weitere Vorstellungen: 14., 19., 23., 29. und 31. Oktober, 6. November - www.opernhaus.ch