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Gebaut und wieder nachgebaut

REST DER WELT / MÜNCHEN / ARCHITEKTURMUSEUM

01/09/10 Geschichte ist immer eine Konstruktion. In doppelter Weise  gilt das für die Architektur, bewahrt sie doch wie keine andere Disziplin auf monumentale Weise die Erinnerung an die Vergangenheit. Welche Rolle spielt sie im Zusammenhang mit Alltags-, Repräsentations- und Kultbauten?

Von Wolfgang Richter

altDie Ausstellung „Geschichte der Rekonstruktion - Konstruktion der Erinnerung“ im Architekturmuseum in der Pinakothek der Moderne bietet eine faszinierende Gelegenheit, sich darüber klar zu werden, welchen Stellenwert Bauten als Zeugen der Vergangenheit für die Ausbildung des kulturellen Gedächtnisses haben.

Anhand von 85 repräsentativen Fallbeispielen und weiteren zweihundert Rekonstruktionen aus verschiedenen Kulturkreisen, von der Antike bis in die Gegenwart, wird anhand von Modellen, Gemälden und Zeichnungen, Plänen, Fotos und Animationen anschaulich, warum verloren gegangene Bauten rekonstruiert wurden und werden. Die zentrale These des Ausstellungsprojekts, dem  gründliche wissenschaftliche Vorarbeiten und ein Symposium des Architekturmuseums der Technischen Universität München und des Instituts für Denkmalpflege und Bauforschung der ETH Zürich vorausgegangen sind, lautet: Mit der Wiederherstellung historischer altBauten werde „nicht gelogen, gefälscht oder betrogen.“ Vielmehr werde „Erinnerung durch Wiederholung von Formen bewahrt und an die nachfolgenden Generationen weitergegeben.“

Die Wiederherstellung der Altstadt von Warschau, von Siedlungen in Belgien, Nordfrankreich und Ostpreußen beispielsweise war politisches Ziel und Wunsch der Bürger. Die Zentren von Arras, Diksmuide oder Ypern vermitteln dem Besucher heute eine historische Dimension - auch wenn fast alles aus den zwanziger Jahren des 20. Jh. stammt.

Der vor kurzem verstorbene Architekt, Künstler und frühere Bürgermeister von Belgrad (der wohl am öftesten zerstörten Stadt Europas), Bogdan Bogdanovi?, beschreibt in seinem lesenswerten Buch „Der Tod und die Stadt“ urbane Siedlungen als „Depot gesammelter Erinnerungen.“ Im Kern beruhe das Verhältnis zu ihnen auf einem Trauma von Generationen, deren Städte durch Bomben, ideologisch begründete Säuberungen und utopische Visionen zerstört worden sind. Deshalb sei die Reaktion darauf nachvollziehbare, die Geschichte durch Rekonstruktion wiedererstehen zu lassen.

Doch auch vorher war die Geschichte der Architektur eine der Reparaturen, Wiederherstellungen und Rekonstruktionen, denn zu allen Zeiten wurden Bauten durch Kriege, altNaturkatastrophen oder einfach  durch Verwitterung und Abnutzung beschädigt, zerstört, repariert und wiederhergestellt, so der Herausgeber des Katalogs, Winfried Nerdinger.

Aus einer Perspektive, welche die Kontinuität berücksichtigt, werden Bauten, die uns heute stilistisch einheitlich erscheinen, als Zeugnisse vieler Epochen wahrnehmbar: Der Zeustempel von Olympia ebenso wie der Kölner Dom, San Paolo fuori le muri in Rom oder der Campanile von San Marco, der nach dem Einsturz von 1902 rekonstruiert wurde.

Das gilt auch für touristische Attraktionen wie die 1462 zerstörte Hochkönigsburg im elsässischen Sélestat, die vom preußischen Kaiser Wilhelm II als Zeugnis der hohenzollerschen Dynastie und Anspruch der deutschen Herrschaft im Elsass 1901bis 1908 wieder aufgebaut wurde und heute ein französischer Mythos ist. Aber auch für das Wahrzeichen von Hamburg, den Turm der St. Michaelskirche, der 1906 nach einem Brand mit Eisen und Beton rekonstruiert wurde. Die Pfahlbausiedlung in Unteruhldingen am Bodensee vermittelt anschaulich über drei Bauphasen 1922-2002, wie sich der Wandel archäologischer Erkenntnisse im Nachbau der Hauskonstruktionen niederschlägt. Kaum ein anderes städtebauliches Modell hat die Vorstellungen vom Leben in einer antiken Stadt so geprägt wie jenes altder Stadt Rom von Italo Gismondi für die faschistische „Mostra Augustea“ von 1937 im Museo della Civiltà Romana. Welche Vorstellung vom Wohnen in der Antike liegt einem Modell zugrunde, in dem weite Partien in Ermangelung archäologischer Befunde erfunden werden mussten?

Zur Sprache kommt aber auch, wie durch Filmarchitektur für historische Spielfilme Fiktionen Vorstellungen von der Vergangenheit prägen.

Wohl prominentestes Exempel für die Restitution vorsozialistischer Geschichte ist die Christus Erlöser Kathedrale in Moskau, 1941 von Stalin gesprengt, um einem nie gebauten Palast der Sowjets Platz zu machen. 1994-1999 im Zeichen eines spirituellen Nationalismus neu erbaut, entspricht sie im Erscheinungsbild weitgehend  der Vorgängerin, in Material und Konstruktion ist sie jedoch (mit einer Tiefgarage unter dem Bau) ganz zeitgenössisch.

Dass Rekonstruktion auch als Weltkulturerbe ausgezeichnet werden kann, zeigt die Wiederherstellung  der ersten dauerhaften Ansiedlung europäischer Kolonisten in Nordamerika. Als Baustelle nationaler Identität und Ursprungsort des frankophonen Nordamerika hat man ab 1958 das historische Zentrum von Quebec, den Place Royal mit seinen 67 Gebäuden als Ensemble im französischen Kolonialstil mit großem Aufwand wiederhergestellt.

Entgegen unserem zielgerichteten Geschichtsdenken spielen bei zyklischen Kulturen, wo der Gedanke der Wiederholung und Wiederkehr eine Rolle spielt, Erneuerungsrituale beim Bauen eine zentrale Rolle. So werden die Ise Schreine in Japan seit 690 alle zwanzig Jahre neu errichtet. Zahlreiche weitere Beispiele aus anderen Kontinenten geben dem Projekt eine interkulturelle Dimension.

Man fährt mit einem differenzierteren Bewusstsein durchs Land, wenn man diese Ausstellung gesehen hat. Sie regt auch an, das eigene Verhältnis zur Geschichte zu überdenken.

Die über 500 Seiten starke Publikation ist mehr als nur ein Katalog. 16 Aufsätze gehen dem komplexen Thema auf den Grund. Die zahlreichen Abbildungen mit Vergleichsfotos von früher und heute  machen das Thema anschaulich. Ein Personen- und Ortregister erleichtert die Orientierung.

Bis 31.10. im Architekturmuseum in der Pinakothek der Moderne, München. - www.architekturmuseum.de

 

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