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Geschlechterfragen im alten Rom

ZÜRICH / CAVALLI / ELIOGABALO

06/12/22 Dimitry Sinkovsky am Pult des Orchestras La Scintilla und der katalanische Regisseur Calixto Bieito entdecken Francesco Cavallis Eliogabalo für das Schweizer Opernpublikum.

Von Oliver Schneider

An tyrannischen und hedonistischen Herrschern ist die römische Geschichte nicht arm. Einer der ärgsten unter ihnen war Eliagabal, der 218 nach Christus als Vierzehnjähriger zum Kaiser ernannt wurde, aber bereits vier Jahre später von seiner Soldaten wegen seiner Verdorbenheit ermordet wurde. Für den Librettisten Marco Faustini und den an Claudio Monteverdis Stil geschulten Francesco Cavalli bot Eliagabals Vita eine gute Grundlage für ein Opernprojekt für den venezianischen Karneval 1667. Während der Arbeit änderte sich jedoch die politische Großwetterlage und anstelle von Cavallis Werk kam eine Vertonung eines Konkurrenten zur Aufführung. Cavallis Oper versank für über dreihundert Jahre in einen Dornröschenschlaf, bis das Manuskript 1999 wiederentdeckt wurde.

Worum geht es? Kaiser Eliogabalo interessiert sich wenig für die Politik, dafür umso mehr für Liebe und Sex, egal ob mit Frauen oder Männern. Gleich einem Ur-Ahnen des Schwerenöters Don Giovanni erobert er eine Frau nach der anderen für sich. Jedes Mittel ist ihm dabei recht, wobei er von seiner Amme Lenia, dem Diener Zotico und seinem Kutscher Nerbulone tatkräftig unterstützt wird. Und während er mit seinen Vertrauten die nächste (weibliche) Eroberung plant, kann er sich nebenbei mit dem in Zürich attraktiven Zotico befriedigen. Wenn nötig, schlüpft Eliogabalo auch in Frauenkleider und präsidiert so den von ihm eingerichteten, historisch verbürgten Frauensenat, was für ihn, der zwischen den Geschlechtern changiert, kein Problem ist.

In Eliogabalo lassen die Protagonisten dreieinviertel Stunden lang ihren Trieben und Gefühlen freien Lauf. Calixto Bieito ist der Richtige, um das in handfesten, zeitlosen Bildern umzusetzen, die uns auch zeigen, dass die Frage nach dem eigenen Geschlecht nichts zeitgeistig Neues ist. Auch Unterhaltung bietet der Abend: Auf erotische Boxspiele der Herren folgt ein Frauensenat im Stil internationalen Konferenzen mit abschließendem Spaghetti-Plausch aus der Kartonbox. Statt als Gladiator zu kämpfen muss sich Alessandro gegen einen schwarzen Stier behaupten, den Heliogabalo zärtlich liebkost. Und schließlich schmunzelt man über die Motorrad fahrende Amme, die von einem Tenor gesungen wird und sich in voller Fahrt an ihrem Mitfahrer Zotico vergreift. Bei so einer Amme musste Eliogabalo ja charakterlich auf die falsche Spur geraten.

Aber Bieito zeigt keine Bilderflut, sondern weiß, in welchen Momenten er allein die Musik sprechen lassen muss. Bei Dmitry Sinkovsky, der seit diesem Jahr Chefdirigent der Nizhny Novgorod Oper in Russland ist, befindet sie sich in besten Händen. Da aus Cavallis Händen nur der Generalbass erhalten ist, ist für jede Aufführung eine Instrumentierung zu erstellen. Sinkovsky hat sich für eine besonders farbenreiche entschieden. Und in Momenten, in denen ihm die Musikerinnen und Musiker nicht reichen, stampfen die Protagonisten unterstützend mit. Cavallis Musik blüht so dank des präzise und freudvoll musizierenden Orchestras La Scintilla lebendig und luftig auf. Wobei Sinkovsky zwischendurch mit Violine oder Laute mitwirkt und als ausgebildeter Countertenor sogar vor Beginn des dritten Aktes Cavallis Dammi morte o libertà aus der Oper Artemisia mit seiner elegant-weichen und mit Abstand schönsten Counterstimme an diesem Abend aus dem Graben beisteuern darf.

Der ukrainische Countertenor Yurij Mynenko gibt den exzentrischen Eliogabalo mit körperhafter, viriler Stimme. Ebenfalls mit einem Countertenor besetzt ist die Rolle seines Cousins Alessandro. David Hansens Stimme ist zwar angenehm timbriert, klang aber in den Höhen am Premierenabend leicht angespannt. Ohne Abstriche gefallen mit instrumental geführten Stimmen die von Heliogabalo und seinem Cousin begehrten Damen: Siobhan Stagg als vergewaltigte Eritea, Anna El-Khashem als Flavia Gemmira, Verlobte Alessandros, und Sophie Junker als von Alessandro verschmähte Atilia Macrina. Beth Taylor setzt mit ihrem wandlungsfähigen, raumfüllenden Alt als Eriteas Verlobter Giuliano ein vokales Glanzlicht.

Joel Williams stattet den willfährigen Zotico mit seinem schmiegsamen, lyrischen Tenor aus. Ein echter Macho ist der für das Opernhaus Zürich etwas zu kräftige Daniel Giulianini als Testosteron-gesteuerter Kutscher Nerbulone, während Mark Milhofer als Intrigen-spinnende und gleichermaßen witzig tuntig Amme Lenia Eliogabalos Schandtaten befeuert.

Wie Befreiungsschlag erweist sich der von Bieito gefundene Schluss des Abends. Lenia und Zotico müssen ihr Tun librettogemäß mit dem Tod büßen, während sich Eliogabalo selbst entmannt, in ein weißes Kleid schlüpft und wie ein Tier von den zuvor von ihm Gepeinigten im Käfig gefangen gehalten wird. Ob er nun sein wahres Ich entdeckt hat?

Mit der Neuproduktion von Eliogabalo schließt das Opernhaus Zürich an die Tradition der Wiederentdeckungen abseits des Opern-Mainstreams an, wie es einst Nikolaus Harnoncourt mit seinem Monteverdi-Zyklus gelang.

Weitere Vorstellungen bis 7. Jänner 2023 – www.opernhaus.ch
Bilder: Opernhaus Zürich / Monika Rittershaus

 

 

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