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Das Requiem als Symbiose aus Musik und Tanz

REST DER WELT / ZÜRICH / VERDI-REQUIEM

09/01/17 Nussknacker, Puppenfee, Hänsel und Gretel, Zauberflöte und natürlich La Bohème, das ist der übliche Mix, den die Opernhäuser ihrem Publikum in der Advents- und Weihnachtszeit bieten. Das mag in „normalen“ Zeiten der Vorfreude passend sein, in Zeiten wie diesen wirkt es fast ein bisschen deplatziert. Aber das können die Spielplanmacher natürlich nicht im Vorhinein wissen.

Von Oliver Schneider

Umso passender erscheint dafür das, was man zurzeit im Opernhaus Zürich bestaunen darf. Ballettdirektor Christian Spuck hat Giuseppe Verdis Totenmesse inszeniert. Choreographiert wäre das falsche Wort, obwohl die Produktion im Ballettprogramm des Hauses aufgeführt ist. Spuck lässt die Tänzerinnen und Tänzer seiner Compagnie, den Chor des Hauses (vorzüglich einstudiert von Marcovalerio Marletta) und das exquisite Solistenquartett dem vielfach gespielten Werk eine neue Dimension verleihen. Das beginnt bereits im einleitenden Requiem aeternam, in dem sich ein Großteil der Protagonisten stehend und sitzend – nur die vier Sängersolisten – im geschlossenen, dunkelgrauen Raum befinden und nur mit ihren Körpern eine solche Spannung erzeugen, die sich gesanglich und in einem angsterfüllten Hin- und Herlaufen des Chors im anschließenden mächtigen Dies irae entladen muss.

Nicht, dass der Chor an diesem Abend auch tanzen müsste, aber dank Spuck wirkt er wie ein harmonischer Teil des Tanzensembles. Genau wie die vier Sängersolisten. Und indem sich die Menschen auf der Bühne immer wieder berühren, transportieren sie die Energie von einem Körper in den anderen, vom Tänzer auf der Sänger und umgekehrt. Jede Bewegung harmoniert so perfekt mit der Musik, dass man sich nach gut 95 Minuten erstaunt die Augen reibt und wünscht, die Vorstellung möge noch einmal von vorne beginnen.

16 Bilder hat der Ballettdirektor zu der gar nicht so christlichen Messevertonung geschaffen, die von großformatigen Tableaux mit dem Chor, der sich als Zeichen für die Suche nach Schutz vor dem Tod immer wieder geometrisch formiert, bis zu intimen Pas de deux reichen. Jedes Bild bringt neue Eindrücke und neue Bewegungen. Bis zum Offertorio liegt der auch nach oben hin geschlossene Bühnenraum immer im dämmrigen Licht (Bühne: Christian Schmidt). Hoffnung scheint es nicht zu geben. Doch ab diesem Moment gibt es immer wieder „Lichtblicke“, wechselt das kalte Licht im Hintergrund in eine wärmere, stärkere Beleuchtung (Lichtgestaltung: Martin Gebhardt). Man wird sich bewusst, dass die Tänzerinnen zum großen Teil zumindest gedeckt farbige Trikots tragen (Kostüme: Emma Ryott). Im Libera me scheint das Ziel erreicht – per aspera ad astra –, wenn die ganze Bühne plötzlich goldgelb erstrahlt, während Krassimira Stoyanova mit ihrem stimmlichen Edelmetall den sängerischen Höhepunkt des Abends intoniert. Doch der Scheint trügt.

Tänzerisch ist das Requiem mehr ein Ensemblewerk als ein solches für große Solisten. Jeder leistet seinen Beitrag, dass die Hoffnung auf vielleicht aktuell Frieden und Freiheit nicht erstirbt. Gleichwohl gibt es einige Momente an diesem Abend, an denen einzelne Tänzer den Rest des Corps überstrahlen. Vielleicht nicht mit ihrer Technik, dafür aber mit ihrer Persönlichkeit. Erwähnt seien stellvertretend die seit Jahren zum Ensemble gehörende Yen Han und Filipe Portugal im Agnus Dei. Sie und alle ihre tanzenden und singenden Kollegen bringen sich in Spucks Inszenierung als Menschen ein, weshalb dieser Abend so direkt ins Herz trifft. Selten war ein Publikum so gespannt, so konzentriert und fasziniert – und das mitten in der Ricola-Hustenbonbon-Saison.

Natürlich wissen auch Fabio Luisi und die Philharmonia Zürich zu fesseln. Luisi setzt stark auf die dynamischen Abstufungen, und die Musiker spielen hoch konzentriert. Und neben der Stoyanova sorgen Veronica Simeoni, Francesco Meli und Georg Zeppenfeld für gesangliche Geschlossenheit auf höchstem Niveau.

Letzte Vorstellung am 13. Jänner – www.opernhaus.ch
Bilder: Opernhaus Zürich / Gregory Bartadon

 

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