Woodstock auf dem Balkan

REISEKULTUR / TROMPETENFESTIVAL GU?A (SERBIEN)

19/08/11 Wo ist denn eigentlich Gu?a? Wie kommt man dorthin? Und was erwartet einen dort? Draga?evski sabor u Gu?i, so die serbische Bezeichnung, ist eine der bedeutendsten Musikveranstaltungen Südosteuropas und das größte dieser Art in Europa.

Von Wolfgang Stern

altDer nächste Weg ist es nicht. Gu?a liegt rund 180 km südöstlich von Beograd, eine Fahrt mit dem Bus von vier Stunden. Mit dem PKW schafft man es in vielleicht drei Stunden. Eine Möglichkeit ist ein Flug nach Belgrad und ein Auto am Flughafen zu mieten (sehr teuer! – für fünf Tage, Fiat Bravo, um stolze 560,00 €). Eine andere Option: Man sucht in Belgrad den Bus in die Provinz.

Laut den serbischen TV-Nachrichten kamen zum 51. Gu?a-Trompetenfestival (von 8. bis 14. August mehr als 700.000 Musikfans. Für einen Ort, der kaum 2000 Einwohner hat, ist das eine erhebliche Herausforderung. Hat man ein Quartier im Voraus gefunden, kann man sich „beruhigt“ auf den Weg machen. Denn erst bei Ankunft sieht man, wo die nächsten Tage die kurzen Nächte zu verbringen sind. Rohbauten in allen Varianten, aber auch rasch gemähte Wiesen als „Campingplätze“ werden da angeboten, beides mit und ohne oder kaum benützbaren sanitären Anlagen.

alt1961 hat das Festival ganz klein im Park der örtlichen orthodoxen Kirche angefangen, mit nur vier Trompetenorchestern. Heute ist das Festival zu einem Begriff in der Musikwelt geworden. Es ist auch ein richtiger Jahrmarkt mit Ständen, wo vielfältige Waren angeboten werden. Spanferkel, Schaf am Spieß und weitere kulinarische Balkanspezialitäten und natürlich viel Bier und Schnaps machen den Tagesablauf kurzweilig. Und wenn man gut bei Ohr ist, dann wird man die Multi-Stereoatmosphäre auch aushalten, denn es kann schon vorkommen, dass drei oder vier Gruppen, ausschließlich mit Blech und Trommel bestückt, fast nebeneinander in den Zelten und Lokalen auftreten. Gu?a ist anders, man mag das Festival oder man flüchtet sofort, wenn man sich nicht auf die Verhältnisse umstellt.

altDie Musiker spielen oft nur gegen extra Bezahlung, denn das ist die einzige Verdienstmöglichkeit für die teilnehmenden Gruppen. Der Festival-Besuch ist grundsätzlich kostenlos, lediglich eine Maut von 10 Euro pro Auto ist zu bezahlen.

Das Musizieren um die goldene Trompete, um den ersten Platz bei den Orchestern, findet im Rahmen eines Wettbewerbes statt. Die „Weißen“ (Serben und andere, auch Gruppen aus dem Ausland, z.B. Frankreich, Slowenien, Italien, Belgien) treten immer wieder in Konkurrenz mit den „Schwarzen“, den Romagruppen. Umwerfend, was hier an Engagement und Können in den einzelnen Musikern, besonders den Trompetern, steckt. Enorme Fingerfertigkeit und technische Brillanz gehen freilich oft im Lärmpegel unter. Das Festival lebt von Spontaneität und Individualität, altKulinarisches und Musikalisches (Miles Davis: „Wusste gar nicht, dass man die Trompete auch so spielen kann“) bei Verzicht auf entsprechende Hygiene und Quartiere lassen den Puls höher schlagen – das bei jeweils mehr als 30 Grad C im Schatten bei viel Staub und allen erdenklichen Düften. Wer das alles in Kauf nimmt, wird von einem besonderen Fest überrascht, an dem die Nächte laut und kurz oder gar nicht sind.

altDie besonderen Abende waren ein Nachtkonzert und die Wettbewerbskonzerte in den Finalrunden im örtlichen Stadion, zu denen sich dann auch noch die großen Stars wie Boban Markovi? oder der hier nahezu als Musikgott verehrte Goran Bregovi? hinzugesellten. Ihre Konzerte, ebenfalls im Stadion vor tausenden Fans, waren sicher der Höhepunkt. Jeder, der dabei ist, bewegt sich zur Musik oder singt aus Leibeskräften mit. Und daneben fließt das Bier – ein Oktoberfest in Zentralserbien!

Wettbewerbsgewinner heuer war das Trompetenorchester (Brassband) Dejan Lazarevi? aus Požega (Serbien), die goldene Trompete gewann als bester Trompeter Elvis Ajdinovi? aus Surdulica.

Gu?a am Tag danach: Abmontierte Stände, viel Dreck und Gestank - und Leere, die wahrscheinlich bis zum nächsten Festival 2012 anhalten wird.

Informationen:  www.guca.rs
Eine Empfehlung: der Fim „Gu?a!“ von Dušan Mili?, der sich bei seinem Film nicht nur von William Shakespeare, sondern auch von farbenfrohen und musiktrunkenen Melodramen inspirieren hat lassen. Ein bisschen „Romeo und Julia“ auf dem Balkan.
Bilder: dpk - Wolfgang Stern