Beim Pilgern europäische Kultur inhalieren
INTERVIEW / ANTON WINTERSTELLER
31/12/10 Pilgern tut nicht nur Geist und Körper gut und bietet spirituelle Impulse jenseits des Alltags - es leistet darüber hinaus auch einen "wichtigen Beitrag zur europäischen Integration". Das sagt der Salzburger Pilger-Experte Anton Wintersteller in einem Kathpress-Interview.
Wintersteller war langjähriger Leiter des Amtes für Tourismuspastoral in der Erzdiözese Salzburg und Organisator zahlreicher überregionaler Pilgerprojekte. Man habe mittlerweile erkannt, dass "der Weg allein zu wenig" sei, es vielmehr auf die Botschaft ankomme. "Weg und Botschaft zusammenbringen - das ist die Leistung der Kirche." Eine Leistung, die freilich auch die Tourismusindustrie interessiert, so dass in den letzten Jahren "wichtige Brücken zwischen Kirche und Tourismus" geschlagen wurden.
Den Ursprungsimpuls für die moderne Renaissance des Pilgerns stellt für Wintersteller der "Hype" um den Jakobsweg und um Santiago de Compostela dar. "Vor zehn Jahren hat kaum jemand gewusst, dass es auch in Österreich Jakobswege gibt - heute entdeckt man, dass ihr Netz ganz Europa überzieht." Sich unterwegs der Fremde und fremden Menschen zu stellen, sich auf sie einzulassen habe eine "höchst integrative Funktion" und trage zu Aufbruch und Verständigung der europäischen Völker bei, zeigte sich Wintersteller überzeugt. "Das ist eine sehr positive Kraft für Europa".
Aus diesem Grund engagiert sich Wintersteller auch nach seinem Ausscheiden aus der hauptamtlichen Tourismuspastoral in Salzburg weiter voller Energie bei allen Themen rund ums Pilgern. So zeichnet er etwa mit verantwortlich für die Broschüre "Pilgern in Lebensübergängen" des Netzwerkes "Europäische Jakobswege", ein Begleitheft für Menschen in besonderen Lebenssituationen, die sich auf einem der zahlreichen Jakobswege im deutschsprachigen Raum auf den Weg Richtung Santiago machen.
Darüber hinaus engagiert sich Wintersteller auch im österreichischen Pilgerwesen, etwa in der Ausbildung von sogenannten Pilgerbegleitern, die durch eine spezielle Schulung befähigt werden, Pilgergruppen nicht nur organisatorisch sondern auch spirituell zu begleiten.
In Österreich machen sich laut Schätzungen zwischen 50.000 und 80.000 Pilger und Wallfahrer jährlich auf den Weg. Der Tourismus hat diese Gruppe daher längst auch als wichtigen ökonomischen Faktor entdeckt. "Pilger erreichen auch entlegene Gebiete und geben rund 50 Euro pro Tag aus - das heißt: Zwei Pilger ersetzen schon einen Sommertouristen. Daher ist auch aus touristischer Sicht jeder Euro in das Pilgerwesen gut investiert", so Wintersteller.
Den aktuellen "Pilger-Hype" registriere er mit einer gewissen Gelassenheit, so Wintersteller. Voraussichtlich werde es in den nächsten Jahren zwar immer schwieriger werden, Broschüren und Wegweiser zu finanzieren und zu erhalten, da jeder "Hype" auch wieder verschwinde - und mit ihm potenzielle Investoren -, jedoch bleibe die "Ursehnsucht" als Grundimpuls des Pilgerns: "Die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies, nach Heimat", so Wintersteller. Daher stelle Pilgern "kein Strohfeuer dar, das in zehn Jahren wieder vergessen ist", es bleibe eines der Grundvollzüge des Christentums. "Pilgern erdet und 'himmelt' zugleich - und beides brauchen die Menschen heute und in Zukunft", so Wintersteller.
Um auf diese Herausforderungen auch pastoral angemessen zu reagieren, wurde gemeinsam mit dem zuständigen Referatsbischof in der österreichischen Bischofskonferenz, dem Kärntner Diözesanbischof Alois Schwarz, ein Konzept für christliches Pilgern entwickelt. Wintersteller: "Überall, wo Pilgern drauf steht, soll christliche Spiritualität, europäische Kultur und kirchliche Gemeinschaft gleichermaßen erfahrbar werden", so die ambitionierte Zielvorgabe. Dies seien "die drei Vorgaben für eine zeitgemäße Pilgerpastoral, die auch in Zukunft Geltung haben werden." (Kathpress)