Kastriert … me too!

VORSCHAU / PFINGSTFESTSPIELE 2019

23/05/18 „Es ist kein Zufall, dass ich diese Idee gerade jetzt realisieren kann, wo die Diskussion über die Unversehrtheit von Künstlern allgegenwärtig ist“, so Cecilia Bartoli in Hinblick auf die über Jahrhunderte geübte Praxis, Knaben zugunsten einer besonderen androgynen Stimmqualität ihrer Männlichkeit zu berauben.

Um die Kunst von Kastraten wird es also bei den Pfingstfestspielen 2019 gehen, die unter dem Motto „Voci celesti – Himmlische Stimmen“ stehen werden. „Im Namen der Kunst verstümmelte man Tausende von Knaben – eine fürchterliche Tradition, die über Jahrhunderte gepflegt und nur selten in Frage gestellt wurde. Vor diesem Hintergrund überlegte ich, ob man die künstlerischen Großtaten dieser Epoche überhaupt feiern und diese Musikstücke aufführen soll“,so Cecilia Bartoli. „Für mich liegt die Antwort auf der Hand: Ja, absolut. Aber man muss das Phänomen auch aus anderen Blickwinkeln beleuchten und den problematischen Kontext zur Diskussion stellen.“

Der Countertenor Philippe Jaroussky singt in Händels „Alcina“ die Rolle des Ruggiero, die Händel im Jahre 1735 dem Kastraten Giovanni Carestini auf den Leib geschrieben hatte. Die Titelrolle singt natürlich die Bartoli,in weiteren Rollen Sandrine Piau, Kristina Hammarström, Christoph Strehl und Alastair Miles. Regie führt Damiano Michieletto, der 2014 bei den Pfingstfestspielen Rossinis „La Cenerentola“ in Szene gesetzt hat. Gianluca Capuano übernimmt die musikalische Leitung, es musizieren das von Cecilia Bartoli gegründete Orchester Les Musiciens du Prince – Monaco und der Bachchor Salzburg (Aufführungen am 7./9.Juni im Haus für Mozart).

Zum ersten Mal seit den beiden Uraufführungen im Jahr 1735 kann das Publikum Händels Oper im direkten Vergleich mit Nicola Porporas Konkurrenzstück „Polifemo“ erleben, das am Pfingstsamstag in halbszenischer Form auf die Bühne der Felsenreitschule gebracht wird. Max Emanuel Cencic übernimmt nicht nur die szenische Einrichtung, er singt auch die Rolle des Ulisse. Die musikalische Leitung hat George Petrou inne, es musizieren Armonia Atenea und der Bachchor. Porpora war der Lehrer Farinellis, der in diesem Dramma per musica die Rolle des Aci gesungen hatte. Das Libretto basiert auf zwei griechischen Mythen, die beide mit dem Zyklopen Polyphem verknüpft sind: die Geschichte um die Nymphe Galateia und den Hirten Akis sowie die Begegnung mit Odysseus, die für den einäugigen Riesen wenig vorteilhaft ausgeht. Porpora schuf eine Musik von großer Ausdruckskraft und Virtuosität, die ihre Wirkung auf das zeitgenössische Publikum nicht verfehlte.

Musik von Händel, Porpora, Johann Adolph Hasse und Riccardo Broschi gibt es in einem Galakonzert „Farinelli & Friends“ im Großen Festspielhaus auf dem Programm. Unter der musikalischen Leitung von Gianluca Capuano singt Pfingst-Intendantin Cecilia Bartoli, umgeben von den Sopranen Julie Fuchs, Patricia Petibon, Sandrine Piau, Nuria Rial, den Mezzosopranen Lea Desandre, Vivica Genaux, Ann Hallenberg, der Altistin Marie-Nicole Lemieux, den Countertenören Christophe Dumaux und Philippe Jaroussky. Moderator ist Rolando Villazón.

Der Name Farinelli geistert durchs Programm der Pfingstfestspiele (nahe liegender Weise wird auch der Film „Farinelli – Il Castrato“ aus dem Jahr 1994 gezeigt). Das für Farinelli komponierte Oratorium „La morte d’Abel“ , uraufgeführt 1732 in der Wiener Hofburgkapelle, wird am Pfingstsonntag zu hören sein, abermals dirigiert Gianluca Capuano, es musizieren Il canto d’Orfeo und der der in diesen Tagen also dauerbeschäftigte Bachchor.

Stabat Mater-Vertonungen werden von Arvo Pärt und Pergolesi zu hören sein (einmal sind die Tallis Scholars am Werk, das zweite Mal die Cappella Gabetta). Den Pergolesi singt Cecilia Bartoli gemeinsam mit dem Countertenor Franco Fagioli. Den Abschluss der Pfingstfestspiele macht die Cappella Musicale Pontificia SISTINA im Dom. Cecilia Bartoli hat dieses päpstliche Ensemble eingeladen, als sie im Herbst vorigen Jahres in der Sixtinischen Kapelle aufgetreten ist.

Im Vatikan haben Kastratenstimmen ja noch viel länger den Klang bestimmt als auf den Opernbühnen. Wer weiß, vielleicht hätten sich die Kastraten gewehrt gegen die Verstümmelung, hätte es damals Vernetzungsmöglichkeiten und #metoo gegeben. Das Thema Kastraten wird jedenfalls in einem Podiumsgespräch musikhistorisch, medizinisch und sängerisch beleuchtet. (PSF/dpk-krie)

Bilder: dpk-klaba (1); SF/ Monika Rittershaus (1); Archiv (1)