Variationen von Leidensdruck

OSTERFESTSPIELE / ORCHESTERKONZERT / THIELEMANN

31/03/15 Und noch einmal die Sächsische Staatskapelle Dresden mit Schostakowitsch und Tschaikowsky – diesmal zusammen mit dem phänomenalen Geiger Nikolaj Znaider und unter der Leitung von Christian Thielemann.

Von Horst Reischenböck

Ohne den Druck von David Oistrach – als Widmungsträger und Impresario einer USA-Tournee - wäre das Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 a-Moll op. 77 von Dmitri Schostakowitsch wohl auch 1955 noch nicht aufgeführt worden. Schostakowitsch hatte dieses in der Tradition großer sinfonischer Konzerte stehende Werk schon acht Jahre zuvor komponiert, hat es als in der UdSSR Geächteter jedoch vorerst zurückgehalten. Wahrscheinlich hätte die zu erwartende Ablehnung von offizieller Seite jenen Leidensdruck noch weiter verstärkt, der sich dem aufmerksamen Hörer auch heute noch klar offenbart.

Das beginnt schon im weit gespannten Nocturno, das bei aller linearen Kantabilität sensibel in intime Nachtseiten der Seele des Komponisten führt. Dieser demaskiert sich mit mehrfachem Zitat seiner Initialen im anschließenden Scherzo, um dann die große Passacaglia unmissverständlich mit Ludwig van Beethovens Schicksalsmotiv klopfend einzuleiten. Die abschließende Burleske grimassiert eher ironisch - publikumswirksam aufgedreht und vorangetrieben in perfekter Übereinstimmung von Dirigent Christian Thielemann und Solist Nikolaj Znaider.

Diesem gelang überzeugend die Quadratur des Kreises zwischen nobler tonschöner zurückhaltend formulierter „Anti-Virtuosität“ und fulminant ausgespielter geigerischer Brillanz mit Kaskaden von Doppelgriffen. Mitreißend bis hinein in die Glissandi der ausgedehnten Kadenz, die mit ihren fast 120 Takten Länge nahezu einen eigenen Satz ausmacht.

Die Sächsische Staatskapelle Dresden war dem Solisten Nikolaj Znaider ein kongenialer Partner - vorerst mit zart pastellartig assistierenden Streicherklängen, die Thielemann dann im dritten Satz saftig aufdrehte. Ebenfalls ein Genuss war der grimmig in den Tanz einstimmende Mischklang der Holz- und Blechbläser.

Genauso bestimmt brachten die Bläser ihre Akzente auch ein in die Symphonie Nr. 6 h-Moll op. 74 „Pathétique“ von Pjotr Iljitsch Tschaikowsky: von den großartig durch die Register modulierenden Klarinetten bis hin zu Bassposaune und Tuba, die mitunter ungeschönt vulgär ins Geschehen eingriffen.

Thielemann beschwor auch hier gleichsam ungeniert und dennoch kontrolliert auskostend das dem Werk innewohnende emotional exhibitionistische Wechselbad. Dieses spiegelt gleichwohl nur eine Facette von Tschaikowskys zerrissenem Seelenleben: Immerhin hat er zeitgleich das durchaus lebensbejahende dritte Klavierkonzert geschaffen.

Bei Thiemlemann jedenfalls entbehrt der Trauergesang nach dem Kampfgetümmel des Kopfsatzes übertriebener Lamoyanz. Der ob seines 5/4-Takts berühmt „hatscherte“ Walzer federte nobel und elegant. Im nachfolgenden Geschwindmarsch in den Abgrund wurden die strapaziösen Tonleiter-Repetitionen hinauf und hinunter perfekt ausgespielt. Auch das berühmte Adagio zum Schluss beschwor Thielemann männlich gefasst: Die ihm eingeschrieben ungehemmte Hoffnungslosigkeit hielt sich in nachdenklichen Grenzen – aus denen sich das Auditorium dann lautstark zustimmend befreite.

Wiederholung am 4. April im Großen Festspielhaus – www.osterfestspiele-salzburg.at
Bilder: Osterfestspiele / Matthias Creutziger