… und mein Leben ein Ziel hat

OSTERFESTSPIELE / STAATSKAPELLE / DEUTSCHES REQUIEM

26/03/13 Schön, dass es Persönlichkeiten wie Christian Thielemann gibt, die sich mit begründetem Selbstbewusstsein aller Zeitgeisterei im Musik-Deuten verschließen. Zu hundert Prozent. Und gut, dass ihm in der Staatskapelle eines der ganz wenigen Orchester mit ausgeprägtem eigenen Idiom zur Seite steht.

Von Reinhard Kriechbaum

Diese besonderen Klangeigenschaften hat man am Montag (25.3.), als Thielemann und die Dresdner im Großen Festspielhaus das „Deutsche Requiem“ von Brahms haben hören lassen, so recht genießen dürfen. Die Klarinetten und die Oboen sind da als erste zu nennen. Man könnte schon ins Schwärmen kommen, wie sie in die Holz-Gruppe als Ganzes eingebunden sind. So durch und durch eigen modelliert, klingt’s nirgendwo sonst.

Das eigentliche Wunder aber ist, dass dieser feine und immer wieder idiomatisch gefärbte Holzbläserklang (gelegentlich denkt man an eine Orgelmixtur) unschwer gegen die riesige Streicherbesetzung ankommt. Der Zeitgeist in Sachen Brahms geht in ganz andere Richtung: Die Zahl der Streichinstrumente zu verringern und so die Bläser präsenter zu machen im Orchestersatz, das ist heute eher angesagt. Phrasen aufzubrechen, eher auf rhetorische Kleingliedrigkeit zu setzen – auch das ein Weg zum Durchdringen des vermeintlich dicklichen harmonischen Unterholzes im Brahms-Wald, den man trotzdem oft vor lauter Bäumen nicht mehr sieht.

Christian Thielemann lebt als Kapellmeister noch in einer anderen Welt. In einer alten und, wie es sich anhört, durch und durch intakten Welt. Das warme Streicherchroma darf bei ihm noch in langen Phrasen aufblühen. Der Streicher-Ton ist kernig und doch nicht dicklich. Das ist wohl das Entscheidende. Was man nicht alles an kleinen Instrumentations-Eigentümlichkeiten heraushören durfte an diesem Abend!

In einem Zeitungsinterview hat Christian Thielemann dieser Tage über den „Parsifal“ gesagt, man experimentiere mit der Leisheit, die im Großen Festspielhaus möglich sei. Das hat Thielemann fürs „Deutsche Requiem“ konsequent weitergeführt. Wie in einem Klavierlied durfte der Bariton Michael Volle sein „Herr, lehre doch mich“ anstimmen, er konnte ohne Kompromisse auf das helle, kopfige Timbre setzen und brauchte in keinem Moment fürchten, dass man ein Wort nicht verstünde oder etwas nicht hörte: Wie große Rezitative, spannende Erzählungen vom Dies- und Jenseits haben die Bariton-Sätze gewirkt. Die „Zeit der letzten Posaune“? Erstaunlich, wie präsent man da das schwere Blech einsetzen und dem Sänger doch ein wortbezogenes Deklamieren ermöglichen kann: eine fürs Ganze symptomatische Stelle.

Christiane Karg wirkte demgegenüber ein wenig befangen mit ihrem „Ihr habt nun Traurigkeit“. Da darf man schon ein wenig mehr Diva sein…

Die Phrasen dieses Brahms-Musizierens wirkten oft schwebend, aber bei konzisen Tempi. Es ging immer deutlich vorwärts, auch wenn es nie eilte. Es gilt, was der Bariton singt: „… dass mein Leben ein Ziel hat.“ Davon profitierte der Chor des Bayerischen Rundfunks. Auch er groß besetzt, aber zu sagenhaft einprägsamen Piano-Stellen motiviert. Jedes Wort hat man da verstanden, und die Themen der mächtigen Fugensätze waren so wohlartikuliert, dass man der Satzstruktur bis ins Feinste folgen durfte. Dem Chor hat das Publikum folgerichtig besonderen Jubel zukommen lassen. Ja wirklich, Jubel! Dass ihm andächtige Stille lieb wäre, hat Thielmann jüngst in einem Pressegespräch in Salzburg anklingen lassen, aber das wäre nach dieser Aufführung des „Deutzschen Requiems“ nicht machbar gewesen. Bemerkenswert trotzdem: Keiner hat hineingepascht in den Schlussakkord, in dem man noch einmal so richtig umschmeichelt worden war vom Chroma der Dresdner Holzbläser.

Wiederholung am Karfreitag, 29.3., um 19 Uhr im Großen Festspielhaus - www.osterfestspiele-salzburg.at
ORF-Ausstrahlung morgen Mittwoch (27.3.) um 19.30 Uhr in Ö1.
Bilder: OFS / Matthias Creutziger