Vom Widerstand gegen die Übermacht

OSTERFESTSPIELE / SOKHIEV

11/04/22 Er war bis vor wenigen Wochen Chefdirigent des Bolschoi Theaters in Moskau UND Musikdirektor des Nationalorchesters am Opernhaus Capitole in Toulouse. Zur „untragbaren Wahl“ zwischen „seinen geliebten russischen und französischen Musikern genötigt“, hat er beide Posten aufgegeben.

Von Heidemarie Klabacher

Nun hat Tugan Sokhiev am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden bei den Osterfestspielen die – schon längst vor dem Ukrainekrieg programmierte – Symphonie Nr. 7 C-Dur op. 60 von Dmitri Schostakwowitsch dirigiert.

Es die Leningrader eines der wohl am stärksten „politisch“ gelesenen musikalischen Werke überhaupt: Großteils komponiert 1941 in der von den Nazis eingeschlossenen Stadt. Uraufgeführt am 5. März 1942 in Samara, wohin der Komponist mit seiner Familie und dem Orchester des Moskauer Bolschoi-Theaters evakuiert worden war. Zwei Wochen später, am 29. März 1942 erstmals in Moskau aufgeführt. Und erstaufgeführt in Leningrad am 9. August 1942, ein Jahr nach Beginn der Blockade – die Musiker dazu teils von der Front geholt und mit Extrarationen an Lebensmitteln aufgepäppelt, das Konzert via Lautsprecher in der ganzen Stadt bis an die Belagerungsfront übertragen...

Er habe nichts dagegen, wird Dmitri Schostakwowitsch im Programmbuch der Osterfestspiele zitiert, „dass man die Siebte die Leningrader Symphonie nennt“. Aber in ihr gehe es nicht um die Blockade. „Es geht um Leningrad, das Stalin zugrunde gerichtet hat. Hitler setzte nur den Schlusspunkt.“ Und nun überzieht Putin die Ukraine mit Krieg und Kriegsverbrechen. Und die Sächsische Staatskapelle Dresden spielt unter Tugan Sokhiev die Leningrader in Salzburg beim teuersten Festival der Welt. Es war ein Triumph. Minutenlang bejubelt.

Tugan Sokhiev hat keine Ideologie gefeiert, sondern ein Werk. Hat keine Materialschlacht geschlagen, sondern seine instrumentalen Mitstreiter auf punktgenaue, fein ausgeklügelte und perfekt inszenierte Einsätze geschickt – im Martialischen, wie im Klagenden. Ein grandioser Höhepunkt im Werk ist das Eindringen einer endzeitlich bizarren, immer brutaler sich gebärdenden, alles andere zudröhnenden Jahrmarktsmusik von vernichtender Banalität: Tugan Sokhiev und die Dresdner haben die berühmte „Invasionsepisode“ im ersten Satz mit dem Marderhaar-Pinsel zu malen begonnen und mit Axt und Bihänder zu Ende geschlagen.

Bei aller Lautstärke, Kraft und Intensität blieb das marschierende Pandämonium eine kontrollierte Crescendo-Studie vom Feinsten. Nach dem Spuk hebt das Fagott und verängstigt und beängstigend an, zu klagen. Und Fetzen der Musik des Aggressors wehen aus Ferne und Vergangenheit herüber... Ebenso subtil gestaltet, die nicht weniger bizarre Episode, ebenfalls angeführt von der kleinen Trommel (Capeau!) im zweiten Satz, im dem es „Mahlert“ und „Lied von der Erdet“ und der durchgängige Rhythmus virtuos durch alle Instrumentengruppen gereicht wird. Jedes Solo, angefangen bei der Oboe, eine Kostbarkeit, jeder Stimmungswandel ein Menschheitsdrama. Überwältigend.

www.osterfestspiele-salzburg.at
Bilder: OFS / Erika Mayer