Ich möchte doch nur lieben

OSTERFESTSPIELE / KAMMEROPER / LOHENGRIN

10/04/17 „Mein gutes Kissen, weiß und rein, wie ein Schwan...“ Die verzweifelte Elsa klammert sich an das geduldige Kissen, zerfetzt es und ein Daunen-Schneegestöber ist alles, was an den Schwanenritter erinnert. Wie so mancher Held, hat auch Lohengrin sich aus dem Staub gemacht, bevor es ernst werden konnte, mit der Beziehung... Salvatore Sciarrinos „Lohengrin“ in der Großen Aula.

Von Heidemarie Klabacher

Die Osterfestspiele werden künftig jedes Jahr neben der „großen“ Oper auch eine Kammeroper präsentieren. Nächstes Jahr ist eine Aufführungsserie von Bruno Madernas „Satyricon“ im Republic geplant. Den fulminanten Auftakt gab heuer Salvatore Sciarrinos „Lohengrin“ in der Großen Aula.

Michael Sturminger, der die extrem kurzfristig anberaumte Neuinszenierung des „Jedermann“ der Festspiele verantworten wird, gab sein Salzburgdebüt als Regisseur am Sonntag (9.4.) bei den Osterfestspielen mit der „Azione invisibile per solista, strumenti e voci“ und machte die „unsichtbare Handlung“ der Kammeroper mit so subtilen wie bewegenden Mitteln sichtbar.

Renate Martin und Andreas Donhauser haben einen Cinemacope-Guckkasten auf die Bühne der Großen Aula gestellt und mit einem ehemals wohl luxuriösen Schlafzimmer mit Meerblick ausgestattet. „Diese Hochzeitsvilla stinkt nach Massenmord“, heißt es im Text des Komponisten. In dieses Setting zwischen Abbruchbude und Göttersitz hat Michael Sturminger das vielschichtige Stück eingeschrieben.

Salvatore Sciarrinos „Lohengrin“ ist ein Dramolett für eine Sängerdarstellerin, Elsa, deren Ehe soeben gescheitert ist. An einem idiotischen Gelübde? An unüberbrückbaren Differenzen? An einem krankhaften Reinheitsstreben - sei es des Mannes oder der Frau, das jedenfalls den Verlust der weiblichen „Unberührtheit“ in der Hochzeitsnacht nicht verkraftet. Die zahlreichen Metaphern und Anspielungen auf unschuldsvolles „Weiß“ öffnen zahllose Deutungsmöglichkeiten. Die Grenzen zwischen Realität und Wahn, Gesundheit und Krankheit - auch beim längst abwesenden Lohengrin – verschwimmen in dem psychologischen Meisterstück.

Vom Schwanenritter ist jedenfalls nichts geblieben, als die Daunenfedern aus dem zerfetzten Kopfpolster. Es hat nicht gut begonnen: „Wir trauten uns, gefangen in Verlegenheit und Schweigen.“ Der Gemahl habe ihre „mageren Hüften“ verabscheut und außer einigen Komplimenten, „die meinem Schwanenhals galten“ ohnehin nichts für die Gemahlin übrig gehabt. Von Elsas strahlender Hoffnung, „Ich werde vergessen zu altern“, ist nichts geblieben.

Sciarrino scheint mit seinem Lohengrin viel weniger eine konkrete „Musik mit Gesang“ komponiert, als eine klingende Palette menschlicher Emotion geschaffen zu haben. Bühnenbild und Szene, so subtil sie ausgefallen sind, wären im Grunde nicht nötig: Das Girren der Tauben, die sich in die verfallende Villa verirrt haben, tropfendes Wasser, hallende Leere – all das stellen die Instrumentalisten und die Sängerin anschaulichst vor Augen und Ohren.

Es ist eine filigrane Musik, Luft- und Atemgeräusche geben die Grundlautstärke vor, ein konkreter Flötenton wirkt da wie eine Explosion. Und die Stimmung ist explosiv. Sarah Maria Sun, stimmlich virtuos, bewegt zutiefst als verlassene Elsa, die im Wahn der Verzweiflung in den Dialog mit dem auf seinem Schwan abgedampften Geliebten tritt. Das œnm . österreichisches ensemble für neue musik brilliert mit Präzision und Feinsinn unter der Leitung von Peter Tilling.

Mit Zitaten aus Monteverdis „Lamento della Ninfa“, dem Klagegesang einer weiteren verlassenen Frau, eröffnet Sciarrino den bewegenden Blick in psychische Abgründe.

Lohengrin – zwei weitere Aufführungen bei den Osterfestspielen am Mittwoch (12.4.) um 21.30 und am Sonntag (16. 4.) um 15 Uhr in der Großen Aula
Bilder: OFS/Creutziger