Hoffnung für den Wanderer?

UNIVERSTITÄT MOZARTEUM / KLANGREISEN / WOLFGANG HOLZMAIR

11/04/14 In dieser „Winterreise“ saß der Bariton Wolfgang Holzmair quasi in trauter Runde mit drei Streichern des „Hyperion Ensembles“ zusammen und erzählte von einer Lebensphase am Rande des physischen und psychischen Zusammenbruchs. Von einer schweren Zeit, die vorübergegangen ist? So schien es. Zumindest zwanzig Lieder lang.

Von Heidemarie Klabacher

In der Reihe „KlangReisen“ der Universität Mozarteum stand am Donnerstag (10.4.) Franz Schuberts Liederzyklus „Die Winterreise“ in einer Bearbeitung für Singstimme und Streichtrio von Shane Woodborne auf dem Programm. Der Salzburger Komponist und Cellist hat Schubert weder verfremdet, noch dekonstruiert. Er hat vielmehr - mit großem Respekt, wie er selber betont - die Noten des Klavierparts auf Geige, Viola und Violoncello verteilt. Mit einem reizvollen – und durchaus „Schubert’schen“ - Ergebnis. Selbst der größte Lied-Freak wird dieser behutsamen und klugen Instrumentierung nicht „Anmaßung“ nachsagen.

Wolfgang Holzmair, der Textgestalter und Geschichtenerzähler, hat also zunächst einmal das Bild eines „Wanderers“ vermittelt, der mit Staunen, aber durchaus bereits verarbeitetem Schmerz, auf die Qualen einer schweren Zeit zurückblickt. So mag Odysseus – auch ein begnadeter Irrender – einst am Hofe der gastfreundlichen Phäaken gesessen und von seinen unglaublichen Abenteuern erzählt haben. Die Gastfreunde haben dem „Listenreichen“ die letzte Etappe der Heimkehr leicht gemacht, ihn auf ein Schiff gebracht und ihn schlafend an den Strand von Ithaka gelegt.

Bis zum Lied zwanzig - „Der Wegweiser“ - hat man im Solitär des Mozarteums auf ein ähnliches Wunder gehofft. So klar, gefasst und kontrolliert - bei aller Wut auf sich selbst und die Welt hat – hat Wolfgang Holzmair seinen Wanderer erzählen lassen: Zornig, aber nicht wahnsinnig. „Als noch die Stürme tobten, war ich so elend nicht“, heißt es im Lied „Einsamkeit“. In der Interpretation Wolfgang Holzmairs war das die wütende Feststellung eines Kämpfers weit entfernt von resignierendem Selbstmitleid. Dem „Stürmischen Morgen“ hat er seine Wut nur so entgegen geschrieen.

Selbst die Schilderungen der Begegnung mit dem „Irrlicht“, mit der „Krähe“ oder mit dem tanzenden Licht im Lied „Die Täuschung“ erzählten nicht von einem sich anbahnenden Zusammenbruch. Im Gegenteil. Wolfgang Holzmair schien mit seiner Interpretation von einer Art Meta-Ebene aus zu erzählen: als einer der sich erinnert, wie nahe er dem seelischen und körperlichen Untergang gewesen ist. Dieser Eindruck herrschte bis zum Schlussvers des Liedes „Der Wegweiser“. Hier erst kam der Zusammenbruch - schlagartig und endgültig. Ohne dass Holzmair die erzählerisch deklamierende Grundhaltung aufgegeben hätte, war mit der Feststellung „Eine Straße muss ich gehen, die noch keiner ging zurück“ aller Kampfgeist gewichen. Der gemeinsame Weg mit dem „Leiermann“ ist keine Erinnerung mehr, sondern trostlose Gegenwart. Die Zukunft zweier Outlaws, die nebeneinander durch die Welt ziehen, verweht von den Winden, verbellt von den Hunden.

Reiches Timbre in allen Stimm- und Stimmungslagen, klangvolle Tiefe, lockere gesungene ebenso klangvolle Höhen, dem Text folgende Phrasierung: Die stimmtechnische Virtuosität des Liedgestalters Wolfgang Holzmair gibt jedem Vokal die richtige Färbung, jedem Ton den optimalen Sitz, jeder Phrase ihre optimale Rundung: Liedkunst in Vollendung.

Begleitet worden ist Wolfgang Holzmair auf dieser „Winterreise“ also nicht von einem Pianisten, sondern von einem Streichtrio. Die Mitglieder des „Hyperion Ensembles“ - Werner Neugebauer (Violine), Firmian Lermer (Viola) und Detlef Mielke (Violoncello) - sind in der Phrasierung überaus dynamisch und musikantisch dem analytischen Zugang Holzmairs gefolgt. Überraschend große Intonationsprobleme der Violine (besonders etwa in Lindenbaum, Täuschung und Mut) haben den bewegenden Eindruck wohl stören, aber nicht mindern können. Reizvoll, wie etwa im Lied „Die Krähe“ die führende Melodie im Cello auftaucht; hübsch, wie das Pizzikato zum „Frühlingstraum“ fröhliche Heiterkeit vermittelt (obwohl gerade an dieser Stelle die Wirkung nicht die Spur an den originalen Klaviersatz heranreicht; die Einleitung zum „Lindenbaum“ müsste man einmal intonatorisch sauber hören, sie könnte in der Streicherversion reizvoll sein); bewegend, wie im Schlussvers des Liedes „Irrlicht“ der Streichersatz wie Harmoniumklang aus einer Kirche oder aus einem altmodischen Grammophontrichter heraus zu kommen schien: „Jeder Strom wird’s Meer gewinnen, jedes Leiden auch sein Grab.“ Viele Klangfarben stecken in dieser Triofassung. Diese „Winterreise“ war eine spannende Station auf den „KlangReisen“.

Bild: Ernest W. Gruber