Die böhmische Streicherschule

WIENER SAAL / BENNEWITZ QUARTETT

05/10/11 Ein Kammerkonzert im Wiener Saal. Leuchtende Herbstfarben, sommerlich temperiert. Das tschechische Bennewitz Quartett verzauberte mit großer Musik aus seiner Heimat.

Von Gottfried Franz Kasparek

Anton Bennewitz (1833– 926) war der Begründer der böhmischen Violinschule. Aus dieser Tradition des ebenso präzisen wie romantisch blühenden Streicherspiels kommen die vier noch jungen Herren Ji?í Néme?ek, Štépán Ježek, Ji?í Pinka und Štépán Doležal. Zu Beginn musizierten sie mit Hingabe die verinnerlichte Meditation über den altböhmischen St.-Wenzels-Choral op. 35 a von Josef Suk, der ja nicht nur Dvo?áks Schwiegersohn und ein berühmter Geiger gewesen ist, sondern auch ein durchaus eigenwilliger, für Prager Verhältnisse mitunter erstaunlich spröder Komponist. Wesentlich moderner als Suks im Kriegsschatten von 1914 geschriebene, nationale Apotheose wirkt freilich Bed?ich Smetanas 2. Streichquartett von 1883, ein nicht zu Unrecht von Arnold Schönberg als Vorbild betrachtetes Stück. Alles volkstümlich Böhmische erscheint hier schroff kontrastiert. Das erschütternde Psychogramm eines gehörlos gewordenen Musikers ist mit seinen scharfen Gegensätzen auf engstem Raum ein visionärer Blick in die Moderne. Das Bennewitz Quartett vermag dies kongenial nachzuzeichnen.

Nach der Pause, bei Antonin Dvo?áks G-Dur-Quartett op. 106, begeisterte die konsequente Durchhörbarkeit des Zusammenspiels vollends. Dvo?áks große Kammermusik – mit Ausnahme der süffigsten Meisterstücke, des „Amerikanischen“ Streichquartetts und des Dumky-Trios – erscheint ja nicht allzu häufig auf hiesigen Konzertprogrammen, was schade ist. Dabei ist gerade dieses Quartett in seiner wundersamen Melodienseligkeit, verbunden mit souverän beherrschter Form und rhetorischer Einprägsamkeit, ein Solitär romantischer Empfindungskunst. Die vier Musiker geben in ihrer ebenso erfühlten wie durchdachten Interpretation dem herrlichen böhmischen Melos, was ihm gebührt. Die Furiant-Motive reißen genauso mit wie die weit gesponnenen Klangflächen, erfüllt von innerem Licht. Dabei fällt das Ensemble nie in sentimentales Ausmalen, sondern vermag alle expressiven Stimmungswechsel mit durchgehender Transparenz nachzuzeichnen. Großartig gelingen etwa die suggestiven Pizzicati im Andante oder die plötzlich fahlen, in sich kreisenden Sequenzen des Finalsatzes, ehe das vitale Tanz-Temperament den Sieg davon trägt. So wird Dvo?áks Musik nicht bloß zum genussvollen Vollbad in slawischer Seele, sondern auch zum Paradebeispiel einer Ästhetik, die innerhalb ihrer traditionellen Gebundenheit völlig neu zu klingen vermag – auch dies ist ein Blick in die Zukunft.

Der Jubel des Publikums wurde mit zwei passenden Zugaben aus dem Zyklus „Zypressen“ von Dvo?ák bedankt – musikalische Bilder, wiederum in der dem Bennewitz Quartett eigenen perfekten Mischung von quasi Öl- und Aquarellfarben wiedergegeben.

Bild: www.bennewitzquartet.com