Auffallend schönes Leiden auf höchstem Niveau

BACHCHOR / JOHANNESPASSION

18/04/11 Der Bachchor in Kammerbesetzung mit jungen, gut ausgebildeten Stimmen - ein Traum für jeden musikalischen Leiter. An Beweglichkeit, Artikulation, Textdeutlichkeit, Homogenität, Stil- und Intonationssicherheit bleiben da keine Wünsche offen. Dennoch bot Bachs Johannespassion mehr ästhetisches Vergnügen, denn emotionale Tiefe.

Von Christiane Keckeis

altAlois Glaßner zelebrierte am Sonntag (17.4.) in der Andräkirche mit dem vorzüglichen Bachchor, hervorragenden Solisten und dem italienischen Kammerorchester „Lorenzo da Ponte“ Johann Sebastian Bachs Johannespassion mit leicht zwanghafter Ästhetizität und vollendeter Klangschönheit: auffallend schönes Leiden auf höchstem Niveau sozusagen.

Die Soprane schweben engelsgleich, der Bass gibt profunde Basis, die Altistinnen erfreuen mit warmer Beweglichkeit, die Tenöre schließlich strahlen, dass so mancher Chorleiter vor Neid erblassen mag. Ein Chor, mit dem das Herausarbeiten von Facetten und stilistisches Gestalten ein Kinderspiel sein sollten, weil die Sängerinnen und Sänger mit leidenschaftlicher Präsenz reagieren. Beste Voraussetzungen für eine intensive dramatische Deutung der Johannespassion im Sinne Bachs.

Die Solisten waren ähnlich gut ausgewählt: Michael Nowak wirkte als souveräner Evangelist, der lyrische wie dramatische Erzählteile mit klug eingesetzten Farben seines wandlungsfähigen Tenors zu gestalten versteht. Klemens Sanders kultivierter sonorer Bassbariton gab, schlank und beweglich geführt, dem Jesus überzeugende Gestalt. Das außergewöhnliche, dunkle, bewegliche Timbre der Altistin Barbara Hölzl entfaltete sich besonders berührend in der „Es ist vollbracht“-Arie. Die Sopranistin Patrizia Cigna machte die etwas soubrettige Leichtigkeit ihres hübschen Soprans durch stilsichere Gestaltung wett, wie weit sie allerdings ins Kirchenschiff durchdrang, ist fraglich.

Das Kammerorchester „Lorenzo da Ponte“ auf Originalinstrumenten hatte es in der halligen Akustik der Andräkirche eher schwer. Schon in den vorderen Reihen kam oft nur mehr ein undefinierbarer Brei an, dem außer den Harmonien nur wenig zu entnehmen war. Zudem schien es, als seien sich die Ausführenden nicht ganz sicher, ob sie tempomäßig lieber dem Dirigenten oder dem lebendigeren Continuo folgen sollten. Was dann auch im Chor zu gelegentlichen Irritationen führte.

Bleibt noch Alois Glaßner, musikalischer Leiter, Ästhet mit Perfektionsdrang, aber kein Grenzengeher. Zumindest nicht an diesem Abend. Was aber sind Hass, Schmerz und das Leid der Passion anderes, als Themen menschlicher Grenzerfahrung? In der Leidensgeschichte geht es wahrlich nicht um Schönheit, um Form, um Kontrolle. Da geht es an die Eckpunkte menschlichen Daseins. Und wenn Bach auch nicht Verdi ist, hat er als intelligenter Dramaturg dies deutlich angelegt. Die Turba-Chöre sind aggressiv-dramatisch, die Anlage der Gerichtsverhandlung spannungsvoll: dies einzulösen blieb der Abend schuldig, bei allem Einsatz der Sängerinnen und Sänger. Glaßner kontrollierte statt zu entfesseln, bremste mit runden Bewegungen, wo es dramatisch wird. Schade. So bleibt man als Zuhörer immer ein wenig auf Distanz zum Geschehen, staunt nicht, ist wenig berührt. Man genießt den Wohlklang und konsumiert einen schönen Abend.

Naja, fast. Die wahre Passion spielt sich wohl im Kirchenschiff ab. Nach endlosem Schlangestehen vor der Abendkasse, zwanzigminütiger Wartezeit auf den Beginn sitzt der Musikgourmet geduldig frierend und mit leicht schmerzverzerrtem Gesicht zusammengepfercht auf sehr harten Bänken. Ganz ohne Leid geht’s eben doch nicht.

Bild: Salzburger Bachchor / Weltbild