Finten, Fährten, Duftspuren
CAMERATA / CHRISTIAN TETZLAFF
21/09/24 Fast ein bisserl enttäuscht hat Christian Tetzlaff im Freitag-Konzert (20.9.) der Camerata Salzburg gewirkt, als nach dem ersten Satz von Beethovens Violinkonzert mit der spektakulär-schneidigen Violin/Pauken-Kadenz kein spontaner Applaus aufbrandete.
Von Reinhard Kriechbaum
Das Camerata-Abopublikum ist eben wohlerzogen und weiß, dass sich das Hineinpaschen zwischendurch nicht gehört – aber es hat sich aufmuntern lassen und dann doch mit Zwischenapplaus nicht gespart. Der 1966 geborene deutsche Geiger Christian Tetzlaff und das Beethoven-Violinkonzert, das sind siamesische Zwillinge. In drei Jahrzehnten habe er es 350 Mal gespielt, heißt es. Und schon als Fünfzehnjähriger hat er für sich jene Kadenzen, die Beethoven für die Klavierfassung des Violinkonzerts geschrieben hat, auf die Geige übertragen. Er war übrigens nicht der erste, der diese Idee hatte. Ältere Musikfreunde haben vielleicht die Schallplatte mit Wolfgang Schneiderhan und Eugen Jochum daheim stehen – auch da pocht die Pauke nachhaltig hinein...
Was Christian Tetzlaff mit dem Beethoven-Konzert und vor allem mit den Kadenzen anstellt, kann man freilich mit älteren Interpretationen in keinster Weise vergleichen. Tetzlaff ist ein ganz großer Erzählkünstler, ja ein Tragöde auf seinem Instrument, und das stachelte im Saison-Eröffnungskonzert die Camerata spürbar an. Die Paukenschläge und die „sprechenden“ Holzbläser-Antworten darauf, denen die Streicher gleich ein ganz anderes Ausdrucks-Idiom nachschickten: Da waren die Fährten und Duftspuren für den hochdramatischen ersten Satz bereits gelegt, über denen Tetzlaff seine fintenreiche Sicht auf den nur scheinbar gesanglich-zarten Solopart entwickeln konnte.
Ein solch flexibles, auf den Punkt getimtes Mit- und Gegeneinander zwischen Solist und Orchester ist ja fast nur mit der Camerata möglich, die genau da ihre Stärken einzubringen weiß. Das war in jeder Hinsicht auf- und anregend, und es war war schön zu beobachten, wie Tetzlaff seinerseits im Larghetto-Satz beispielsweise gleich am Beginn die charismatischen Beiträge von Soloklarinette und Solofagott aufgriff und sie mit den denkbar feinsten Girlanden umwob. So etwas wie Routine-Leerlauf scheint Tetzlaff auch nach 350 Aufführungen nicht zu drohen, aber man muss auch sagen: Sich als Solist auf die so hellwache Camerata einzulassen, garantiert auch für einen Intimus gerade dieses Werks vermutlich die eine oder andere Überraschung. Gewaltiger Jubel.
Für Jörg Widmanns Aria für Streicher kam der Camerata-Bratschist Firmian Lermer mit ans Solopult. Gehen da zwei Soloinstrumente gegen dreizehn streichende Kolleginnen und Kollegen ins Rennen oder sind Violine und Bratsche viel eher „inter pares“ tätig? Die filigrane Miniatur weckt Assoziationen an Richard Strauss' Metamorphosen.
Christian Tetzlaff hatte an diesem Abend die Leitung inne, aber er nahm dezidiert nicht die Rolle eines Dirigenten ein. Für Schumanns Zweite Symphonie C-Dur op. 61 setzte er sich ans Konzertmeisterpult. Mit diesem Werk bewegt man sich ohne ordnende Hand eines Dirigenten allerdings auf Glatteis. So gut der durchwegs kernige Tonfall für den eher volkstümlichen Finalsatz passt – die Wiedergabe insgesamt war eher auf der deftig-robusten Seite. Nach der feinsinnig aufgefächerten Beethoven-Interpretation war der hier wenig modellierte Streicherklang enttäuschend. Am ehesten hält der langsame Satz ob der Holzbläsersoli kammermusikalische Optionen bereit. Aber auch da ist einiges aus dem Ruder gelaufen, und im sehr schnell genommenen Scherzo war nicht zu überhören, dass die Musiker hinlänglich mit sich selbst beschäftigt waren.