Die ersten Steine einer Lawine

HINTERGRUND / KINDER- UND JUGENDORCHESTER (2)

09/02/23 Ist das Ende eines Kinderorchesters das Ende von allem? Es gibt in Salzburg viele  vergleichbare Initiativen. Sogar ein „alters-fluides“ Originalklang-Ensemble. Für Virgil Hartinger ist das Ende einer jeglichen solchen Bemühung ein schwerer Verlust. „Es sind die ersten Steine einer Lawine.“

Von Heidemarie Klabacher

Wenn diese Lawine los geht, dauert es Generationen, bis Erreichtes wieder aufgebaut werden kann“, sagt Virgil Hartinger, der Leiter der Salzburger Bachgesellschaft. „Wenn eine Tradition einmal gebrochen ist, braucht es Forschungsarbeit für einen Wiederaufbau. Wie haben die das damals gemacht? Wir haben es bei Corona gesehen. Da waren Maßnahmen nötig. Aber mit den Folgen kämpfen wir immer noch. Das Abschaffen eines Orchesters ist wie ein künstlicher Lockdown: Es ist danach nichts mehr wie vorher.“ Kultur bilde immer nur eine „hauchdünne Schicht“, so Virgil Hartinger. „Wenn du so was abdrehst, brauchst mindestens eine Generation, um es wieder aufzubauen. Aber mit einem Strich ist es weg.“

Es gehe um grundsätzliche Entscheidungen, nicht nur von Kulturszene und Veranstaltern, sondern von Gesellschaft und Politik: „Konzerte, etwas wo man Ticketts verkaufen kann, wird es immer geben.“ Schnell einmal zur Disposition stünden „Sachen, die nominal nicht so viel bringen, weil sie nicht unmittelbare Früchte tragen, sondern eine lange Entwicklungszeit erfordern“. Für Virgil Hartinger „ein generelles Problem in der Musikkultur“. Damit ein Kinder- oder Jugendorchester wirklich regelmäßig und langfristig proben kann, „muss es mehr Bekenntnis geben“.

Die Salzburger Bachgesellschaft ist ja selber Mit-Initiatorin eines Jugendensembles. „Ja, Bach's New Generation Orchester gibt es noch“, sagt Virgil Hartinger auf Nachfrage des DrehPunkKultur. „Auch bei uns gibt es Enthusiamsmus, guten Willen, fast kein Geld“. Man habe mit Heinrich Ignaz Franz Bibers Stücken Battalia und Nachtwächterserenadeund der Musikalischen Fechtschule von Johann Heinrich Schmelzer erst vergangenen September ein sehr schönes Projekt im DomQuartier gemacht.

Bach's New Generation Orchester wurde 2016 gegründet als eine Kooperation der Bachgesellschaft mit dem Musikum und dem damaligen Institut für Alte Musik der Universität Mozarteum. „Da hat sich strukturell vieles verändert“, sagt Virgil Hartinger. „Die Kinder werden auch älter. Aus Kindern werden Jugendliche.“ Es ist wichtig, den heranwachsenden Jugendlichen weiterhin einen Ansporn zu bieten, „sonst verlierst du Leute“. Das sei im Orchester so fragil, wie im Chor. „Wenn ein Chor überaltert ist, wollen keine Jungen mehr hinein.“ Der Übertritt von einer Altersgruppe in die nächste, sei das Schwierigste. Heute bilden Studierende am Mozarteum einen Kern von Bach's New Generation Orchester, erklärt Hartinger. Leiterin ist Michaela Girardi, Verbindungen zum Precollege gebe es. Absolventen können dazu kommen, und vor allem Schülerinnen und Schüler, die mit ihren Lehrerinnen und Lehrern das Repertoire über ein Semester oder Schuljahr erarbeiten. „Inzwischen ist das Unterstufenorchester des Musischen Gymnasiums projektbezogen mit dabei“, erklärt Virgil Hartinger.

„Wir machen auch Kinderkonzerte mit dem Unterstufenorchester des Musischen unter der Leitung von Florian Beer.“ Da heißt das Orchester dann Bach's Youngest Generation Orchester. Er halte es für entscheidend, so Hartinger, dass Kinder im Publikum Kinder auf dem Podium erleben: „Wenn ein junger Mensch sein Seelenleben auf eine Saite zaubert, hat das viel größeren Effekt auf Kinder, als wenn die Ausführenden alle erwachsen sind. Kinder sind für Kinder einfach das bessere Vorbild.“

Der Aufwand, bis es so weit ist, ist enorm. Im Vorfeld eines Projekts finden unzählige Gespräche mit den Verantwortlichen von Musikum, Precollege oder Musischem Gymnasium statt. Alle Beteiligten wollen „solche Kooperationen zustande kommen“ lassen“, sagt Virgil Hartinger. Aber allein die Koordination sei anspuchsvoll, das Geld ohnehin knapp. Ein Projekt wie das Kinderkonzert Battalia und Fechtschul vorigen September komme letzlich nur „aus Enthusiasmus zustande.“ Und, betont Virgil Hartinger, „weil das DomQuartier den Raum gratis zur Verfügung gestellt hat“.

Vielleicht hat H.I.F. Biber das Rezept? Den Geigenvirtuosen und Domkapellmeister unter Erzbischof Max Gandolf ab 1670 verbindet man entweder mit der Missa Salisburgensis à 53 voci oder mit den Rosenkranzsonaten für einen Sologeiger. Das Stück mit dem Froschquaken fällt eher nur musikalisch Versierten ein. Ein pures Vergnügen, nicht nur für Kinder, ist das musikalische Schlachtengetümmel,  die Battalia. Der Komponist rät nicht zur feinen Klinge: „Die Schlacht mus nit mit dem Bogen gestrichen werden sondern mit der rechten Handt die Saite geschnelt. Undt starck!“ Vielleicht eine Strategie für Budget-Verhandlungen wenn's um musikalische Kinder- und Jugendarbeit geht.

Bilder: Ursula Lindenbauer (1) / Lucia von Egmont
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