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Gipfel der Liedkunst

LIEDMATINEE / MICHAEL VOLLE / HELMUT DEUTSCH

21/11/22 Irgendwann wird die Cancel-Unkultur auch den Liedgesang treffen. Noch dürfen drei Zigeuner uns zeigen, wie man das Leben verschläft, verraucht und vergeigt und es dreimal verachtet: Passive Resilenz mit Liszt und Lenau steht in größtem Kontrast zum lautstarken Aufbegehren des Prometheus mit Schubert und Goethe. Voller Spannung – die Liedmatinne von Michael Volle und Helmut Deutsch.

Von Heidemarie Klabacher

Mozarts tendenziell unaushaltbares KV 619 Die ihr des unermeßlichen Weltalls Schöpfer ehrt machte am Sonntag (20.11.) den Anfang und brachte die erste Überraschung: Die große vierteilige Nummernfolge voll weltverbesserischer freimaurischer Klugscheißerei hat uns Heutigen tatsächlich was zu sagen! Wenn jemand wie Michael Volle sich ihrer annimmt. „Enthüllt Euch vom Gewand das Menschheit in Sektiererei verkleidet...“ Schlechte Dichtung. Altmodisches Sprachgewand. Topaktueller Aufruf zum Selberdenken. Auch wenn der Autor, Mozarts Logenbruder Ziegenhagen, von Fakenews und Filterblase noch nichts wusste: Der Bariton Michael Volle und sein Klavierpartner Helmut Deutsch nahmen dem sperrigen Ding alles Besserwisserische, Gesteltzte, Bevormundende.

So zurückhaltend, beinah selbstkritisch wägend, lieh Michael Volle den Worten eines durchaus liebenden Gottes die Stimme, dass man bereit war, über den Text auch mal nachzudenken. Es hilft, wenn man, wie bei Volle, jedes Wort versteht. Vielleicht wandelt der Mensch tatsächlich im Unglück, weil er ständig nur „töricht blind“ rückwärts schlägt... Jedenfalls kein der Spielstätte geschuldeter Alibi-Mozart, sondern ein dramaturgisches Statement.

Denn KV 619 stand in direkten Gegensatz zu Schubert/Goethes Prometheus D 674. Hier bleibt dem denkenden Individuum nichts anderes mehr übrig, als den Gott zu stürzen. In der Lesart von Michael Volle schwingt zunächst fast ein wenig Mitleid mit: „Ich kenne nichts ärmeres unter der Sonn', als Euch, Götter.“ Die Abwendung von Zeus/Gott geschah nicht leichtfertig. Schon die Sehnsucht des Kindes, dass „drüber wär, ein Ohr zu hören meine Klage“ war ungestillt geblieben. Und geholfen hat der „Schlafende da droben“ auch keinem. Hier trieft dann die Anti-Hymne von Spott und Hohn. In der Lesart Volle kontrolliert und damit gefährlich bleibt selbst das finale „Wie ich“. Mit Die drei Zigeuner S 320 von Franz Liszt auf das Gedicht von Nikolaus Lenau hat Michael Volle ganz zum Schluss eine weitere philosophische Grundhaltung dem Leben und seinen Göttern gegenüber zur Diskussion gestellt. Vielleicht die klügste.

Dazwischen Kostbarkeiten von Schubert und Liszt, dargeboten in höchster – weil geradezu selbstverständlich locker wirkender – Gesangs- und Gestaltungskunst. Helmut Deutsch brillierte nicht zuletzt in den virtuosen Begleitungen des Klaviervirtuosen Liszt, weniger mit Blendwerk als purem Glanz.

Auch hier gab es da und dort kleine inhaltlichen Binnenbezüge, etwa zwischen dem vergeblich verzweifelten Wandern des Pilgrim D 794 und dem unverbesserlichen Hoffen Im Abendrot D 799 (natürlich der Höhepunkt). Drei Gesänge D 902 standen mit Schubert'ischer Italianita – lieblich, dramatisch, heiter – den großen Emotionen der Tre Sonetti del Petrarca S 270 von Franz Liszt gegenüber. Eine Kette von Gipfeln der Liedkunst in Gesang und Begleitung – nochmas überhöht von drei Liszt-Zugaben.

Bilder: dpk-klaba

 

 

 

 

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