Bäche Schlag auf Schlag

BACHCHOR / #CHORAGE

06/05/22 Unter den Titel Ein herrliches Reich – Auf dem Weg zu J.S. Bach stellte der Bachchor das erste Konzert der Reihe Chorage #1. Chorleiter Lionel Meunier ließ in der Kollegienkirche mit den Vokalisten Bäche perlen und Musikgeschichte lebendig werden.

Von Erhard Petzel

Ein Titel mit „auf dem Weg zu“ deutet auf Fortgang und Entwicklung. Die Werkfolge am Donnerstag (5.5.) erwies sich tatsächlich als ein Archiv von Ideen, die im Laufe eines Jahrhunderts aufeinander aufbauten. Und Johann Sebastian Bachs Motette Jesu, meine Freude BWV 227 war tatsächlich der Höhepunkt des dramaturgisch logischen Programms. Noch viel wichtiger als eine solch intellektuelle Genugtuung, war freilich die Qualität der Musik aus der Bach-Dynastie, die an diesem Ort mit diesem Chor unter diesem Dirigenten zu berühren vermochte.

 Den Beginn setzte dennoch der frühbarocke Ahnherr protestantischer Motettentradition, Heinrich Schütz, mit vier Beispielen aus der Geistlichen Chor-Music von 1648, die seine Erfahrungen aus Italien mit dem alten Stil verknüpfen. Gewaltig braust in SWV 391 der Geist auf, bevor die seligen Toten friedlich von ihrer Arbeit ruhen. Die Akustik der Kollegienkirche unterstützt auf magische Weise die freudige Ernte der im Psalm 126 SWV 378 gesäten Tränen. Das ganze Programm hindurch kann der Bachchor den Klangraum sphärisch nutzen, ohne in diesem gewaltigen Hall den Text zu verlieren. Gastchorleiter Lionel Meunier gibt dem Klang seine Zeit und spürt dem dafür natürlichen Puls nach.

Kurze Umstellungen im Seitenschiff bereiten Doppelchörigkeit vor. Nur für die Draufgabe, eine Vertonung aus dem Psalm 90 von Johann Michael Bach, tönt der Sopran vom Himmel der Emporen. Der Organist Max Volbers stimmt mit Vorspielen und Begleitung auf dem Portativ harmonisch ein und verbindet die verschiedenen Beiträge. Denn nun setzt es Schlag auf Schlag Bäche in annähernd chronologischer Folge, von J.S. im Altbachischen Archiv gesammelt. Von Großonkel Johann Bach die achtstimmige Motette in altmeisterlicher Doppelchörigkeit Sei nun zufrieden meine Seele, gefolgt von Schwiegervater Johann Michael Bachs Herr, ich warte auf dein Heil. Dessen homophones Zentrum, worin aus diesem Herzeleid in den Himmel geführt wird, ist im doppelchörigen Wechsel von anfänglichem Heilserwarten und abschließender Sehnsucht, abgeholt zu werden, umfasst, wobei beide Aussagen in süßer Sehnsucht verquickt werden. In der Motette Halt, was du hast kommt es zu einer geschickten Interpolation mit dem Choral Jesu, meine Freude, dessen moralische Interventionen sich mit dem Empfang des herrlichen Reiches zusammengeführt zeigen. Von Onkel Johann Christoph Bach kommt die Vertonung von Lukas 2, 29-32. Der alte Simeon fährt in zahllosen Imitationen dahin, doch geht es um Gottes Wort, Anwesenheit und Licht, vereinen sich die Chorstimmen zu strahlender Homophonie.

Herr, der Anruf zu Beginn des Textes, wird zum sehnlich-seligflehenden Schlussakkord. Cousin Johann Ludwig Bach ist zweifach vertreten. Unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist kommt auf luftigen Sphärenfüßen mit delikaten Silben-Abdunklungen, in der theologischen Dramaturgie vergleichbar mit der Sinnlichkeit eines Mendelssohn. Das Numinose erklärt sich durch Koloratur. Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, Macht uns rein von allen Sünden, wird in endlosen Wiederholungen eingehämmert. Die beiden folgenden Liedstrophen ziehen in lichter Verquickung von Pastorale und Choral vorüber. Der Spannungsbogen, den uns Johann Sebastian Bach in Jesu, meine Freude bereitet, ist an herrlicher Raffinesse und plastischer Textausdeutung ohnegleichen und bedarf ob seiner Präsenz keiner oberflächlichen Analyse. Da gilt absolut: Bach, unser aller Freude. Wenn Beethoven hingegen moniert, dass der große Bach Meer heißen sollte, so zeigte dieser Abend, dass wir mehr Aufmerksamkeit auf die Vielfalt der Bäche werfen sollten, die in ihren klaren Fluten herrliche Schätze bergen, bevor ein Meer sie fasst.

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Bilder: dpk-klaba