Die Posaunen lügen nicht

HINTERGRUND / MOZART / C-MOLL-MESSE

06/08/19 Manchmal geht es Noten gar nicht gut. Zum Beispiel jenen der c-Moll-Messe KV 427 von Mozart. Das vom Komponisten doppelchörig erdachte Sanctus hat ein wohlmeinender Mönch, ein gewisser Pater Matthäus Fischer aus dem Stift Heilig Kreuz in Augsburg, um 1800 von acht auf vier Chorstimmen eingedickt. Die Originalhandschrift Mozarts ausgerechnet dieses Sanctus ist verloren gegangen...

Von Reinhard Kriechbaum

So vertraut also den Musikfreunden Mozarts Werk ist: Um das Fragment aufführungstauglich zu machen, sind Rekonstruktionen nötig. Die seit Jahrzehnten meistgespielte ist jene Fassung mit Ergänzungen von Helmut Eder. Am Montag (5.8.) hat man bei den Festspielen eine neue Version kennen lernen können. Ulrich Leisinger, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Mozarteum, hat sie erstellt.

Die Sache mit der achtstimmigen Hosanna-Fuge im Sanctus war die kniffligste Angelegenheit dabei, erklärt der Musikwissenschafter. Wie macht man aus den überlieferten vier Stimmen wieder acht? Bisherige Bearbeiter haben quasi „nach Geschmack“ im Geiste Mozarts nachkompopniert. Mit dem Stilgefühl im Bauch sozusagen. Darum ging es jetzt eben genau nicht. Die Neufassung soll wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. „Die Quellenlage hinsichtlich der c-Moll-Messe ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts klar“, so Leisinger. „Sehr wohl aber hat sich unser Verständnis der Quellen geändert.“

So also hat sich Ulrich Leisinger in den Salzburger Musikarchiven die doppelchörigen Werke Salzburger Komponisten im 19. Jahrhundert genau angesehen und beobachtet, dass die Posaunen immer Alt, Tenor und Bass des ersten Chores stützen. Und zwar ausnahmslos. Es gibt für ihn also keinen Zweifel, dass es auch Mozart so hielt. „Die Posaunen lügen nicht“, sagt Leisinger pointiert. Und weil die Posaunenstimmen der c-Moll-Messe ja vorhanden sind, sei der Chor 1 der Hosanna-Fuge eindeutig festzuschreiben. Den Chor 2 galt es aus den anderen Instrumentalstimmen zu puzzeln.

„Die Rekonstruktion ist der Versuch einer behutsamen Annäherung mit dem Ziel, auch die fragmentarisch überlieferten Sätze für Konzertveranstaltungen ‚zu retten‘“, so Leisinger. „Dabei standen neben der Mozart-Expertise durch die Arbeit an der Stiftung Mozarteum auch die Erkenntnisse, die die historisch-informierte Aufführungspraxis bereithält, immer mit im Blick.“ Der Musikwissenschafter ist übrigens überzeugt davon, dass Mozart über Gottfried van Swieten Zugang zur h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach hatte, die für ihn eine wichtige kompositorische Anregung war. Van Swieten besaß damals vermutlich die einzige Abschrift des Bach-Werks im süddeutsch-österreichischen Raum.

In Mozarts Handschrift der c-Moll-Messe sind nur Kyrie und Gloria vollständig asugeschrieben. Im Credo sind die leer gebliebenen Notenzeilen in der Überzahl. Da ist zum Beispiel im eröffnenden Chorsatz eine Frage, wie man es mit Trompeten und Pauken hält. Für Leisinger war nach Studium anderer Salzburger Quellen offensichtlich: Sie gehören dazu, und zwar vom ersten Takt an. Für eine dezente, stilgerechte Ergänzung der Streicherbegleitung in der Sopranarie Et incarnatus est bietet – wie seit Langem bekannt ist – vor allem die wesensverwandte Arie Deh vieni non tardar aus Mozarts Figaro sichere Anhaltspunkte.

Das Credo ist nur bis zur Arie Et incarnatus est gediehen. Diese sang Constanze Mozart bei der Salzburger Aufführung der Messe am 26. Oktober 1783 in der Stiftskirche St. Peter. Das war zugleich Mozarts letzter Aufenthalt in seiner Geburtstadt. Aktueller Forschungsstand zur Entstehung des Werks: Die c-Moll-Messe war als Votivmesse gedacht, für die Gesundung Constanze Mozarts knapp vor der Hochzeit. Singend habe sich Constanze dann als Sopransolistin mit der c-Moll-Messe der Familie Mozart (der Schwägerin Nannerl und dem Schwiegervater Leopold) vorgestellt.

Die neue Rekonstruktion der c-Moll-Messe KV 427 wird bis Dezember im Bärenreiter Verlag erscheinen (Partitur, Stimmen, Klavierauszug und Chorpartitur). Bei der kommenden Mozartwoche wird das Werk am 30. Januar 2020 um 19.30 Uhr im Großen Saal des Mozarteums aufgeführt, vom La Cetra Barockorchester unter der Leitung von Andrea Marcon – mozarteum.at/mozartwoche-2020-konzerte
Bilder: dpk-krie
Zur Besprechung der Aufführung der neu
gefassten c-Moll-Messe bei den Festspielen
Mal richtig gut zum Durch-Hören