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Trauer und Katharsis

WIENER SAAL / LINUS ROTH

02/05/19 Der deutsche Geiger Linus Roth gab am Dienstag (30.4.) im Wiener Saal einen Soloabend. Immerhin war der Saal zur guten Hälfte gefüllt und wer da war, erlebte einen Abend der Sonderklasse mit. Der aufregend expressiven Musik von Mieczyslaw Weinberg sollte man ein ganzes Festival widmen.

Von Gottfried Franz Kasparek

Die Weinberg-Renaissance – besser gesagt: Weinberg-Entdeckung – macht sich gottlob auch in Salzburg bemerkbar. Bei den Festspielen gab es schon 2016 einen kleinen Schwerpunkt, im Vorjahr war das Klavierquintett in Mattsee in edler Besetzung zu hören, das stadler quartett versucht gerade eine Gesamtaufführung der 17 Streichquartette, bisher mit zwei grandiosen Konzerten. Nun also Linus Roth, der die drei Solosonaten des Polen aus Russland auch auf CD aufgenommen hat – wie übrigens das geigerische Gesamtwerk Weinbergs. Zwei der Sonaten sorgten im Wiener Saal für berührende Begegnungen mit großer Musik, die lange Zeit kaum aus der Sowjetunion herausgekommen ist.

Früher hielt man Weinberg, den man ohnehin nur vom Hörensagen kannte, für einen Freund und Epigonen von Schostakowitsch. Nun, ersteres war er zweifellos, zweiteres gar nicht. Ähnlichkeiten ergeben sich aus der Ästhetik des sozialistischen Realismus, der beide in jeweils ausgereizten Grenzen gehorchen mussten. Doch ist Weinbergs Musiksprache noch weit stärker von Elementen ostjüdischer Folklore durchdrungen. Die Melodik verblüfft, weil sie ebenso einprägsam wie unverwechselbar und direkt anrührend ist, die parodistische Ebene ist viel mehr im Hintergrund als beim berühmteren Kollegen. Unüberhörbar das Leiden an totalitären Systemen und am Grauen des Kriegs, klar diagnostizierend geschildert, oft in eine Atmosphäre schöner Wehmut gerückt und nicht ganz hoffnungslos. Die Solosonaten mit Bach zu verbinden, funktioniert blendend. Weinberg trauerte um seine im Holocaust vernichtete Familie, Bach in der wundersamen „Ciaccona“ aus der Zweiten Partita um seine jung verstorbene erste Frau Marie Barbara. Beide öffnen in größter harmonischer Meisterschaft Räume des Menschlichen voll bezwingender Innigkeit und absoluter Zeitlosigkeit.

Linus Roth, ein elegant wirkender, aber zu größter Leidenschaft und Verinnerlichung fähiger, technisch perfekter Geiger, widmete sich dem Programm mit spürbarer Liebe. Er ist auch ein Künstler, der stimmig und geistvoll am Podium reden kann und öffnete wohl so manche Ohren im Publikum für die dunkel getönte Schönheit der Weinberg-Sonaten. Zum Aufwärmen gab es, energisch und mit strahlendem Ton interpretiert, die g-Moll-Sonate Bachs. Darauf folgte die siebensätzige Zweite Sonate Weinbergs, geschrieben 1967, ein durchaus auch im besten Sinne unterhaltsames Werk voll geigerischer Raffinesse, voll bitterer Süße, mitunter aufschreiend dramatisch - überhaupt sind diese Sonaten so etwas wie tönende Theatermonologe. Noch mehr ist dies die lange, fünfsätzige Erste Sonate von 1964, ein weit gespanntes Klangpanorama voll tiefer Emotionalität, die Linus Roth ebenso erfüllte wie die oft am Rande des Spielbaren angesiedelten, der Expressivität verpflichteten spieltechnischen Details.

Am Ende des denkwürdigen Abends stand eine tief empfundene, von innen leuchtende Bach-Chaconne – und es war eine gute Entscheidung, diesem wie eine Katharsis wirkenden Requiem trotz großen Befalls keine Zugabe mehr folgen zu lassen.

Bild: www.linusroth.com

 

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