Vom organischen Atmen und vom billigen Klingeln

ASPEKTE / ERÖFFNUNG

27/05/10 Sie liebt das Bajan, die russische Form des Knopfakkordeons: „Denn das Bajan kann atmen“, sagt Sofia Gubaidulina. Diesen Atem kompositorischen Gesetzmäßigkeiten zu unterwerfen, ist ein Prinzip der 1931 in der Tartatischen Sowjetrepublik geborenen und heute bei Hamburg lebenden Komponistin. Nicht einmal die Orgel atme so organisch wie das Bajan.

Von Heidemarie Klabacher

Auf einem Akkordeon Luftgeräusche zu produzieren, die an tiefen Atem denken lassen, ist ganz leicht. Aber leicht macht es Sofia Gubaidulina ihren Bajan-Interpreten nicht: Karin Küstner hat mit Gubaidulinas „De Profunds“ für Bajan solo aus 1978 am Mittwoch (26.5.) in der Müllner Kirche einen ebenso meditativen wie expressiv-virtuosen „Gesang aus der Tiefe“ angestimmt.

Die natürlichen Pausen zwischen Ein- und Ausströmen des menschlichen Atems und sein „Sound“  werden hier ebenso auskomponiert, wie melodische und harmonische Anklänge an traditionellen Kirchengesang oder kleingliedrige nervöse zeitgenössische Gesten. Ein nach wie vor spannendes, ganz und gar unsentimentales Werk, das dennoch Bilder und Assoziationen zum grundlegenden Thema Sofia Gubaidulinas weckt: der Spannung zwischen Leben und Tod.

Was Michal Mautner dem Aspekte-Publikum mitteilen wollte, hat sich hingegen nicht so recht erschlossen. Die Neufassung des Stücks „finis amplius africae. Rappresentazione für Oktett“, ein Auftragswerk der Aspekte, hat einen repräsentativen Titel und kommt im Übrigen mit post-, prä- oder sonst wie mythischem Geklingel daher. Einige Minuten lang war man ja gerne bereit, wieder einmal irgendwelchen geschickt arrangierten - und von Mitgliedern des Österreichischen Ensembles für Neue Musik unter Oswald Sallaberger natürlich perfekt realisierten - Raumklang-Wirkungen zu lauschen. Als aber der Gedanke an BWV 82 („Ich habe genug“) sich immer stärker aufdrängte, ging es erst recht los: mit An- und Übereinanderreihungen besagten geschmäcklerischen Geklingels.

Danach hatte es selbst Sofia Gubaidulinas „Sonnengesang“ für Violoncello, Kammerchor und Schlagwerk es nicht mehr leicht, sich aus dieser unmittelbaren Nachbarschaft und den Nachwirkungen von Tönen unter akutem Kitsch-Verdacht zu befreien. Was vielleicht auch daran gelegen ist, dass die Wiedergabe in der Müllner Kirche im Chorpart zwar perfekt war (gesungen hat der Chorus sine Nomine unter Johannes Hiemetsberger), aber die Schlagzeug- und Cello-Parts ziemlich übersteuert daherkamen. Die Akustik der Müllner Kirche ist an sich hervorragend und für beinahe jede Art von Musik geeignet. Dennoch ist es in einem hallenartigen Sakralraum nicht leicht, die immer wieder dramatisch auflodernden Passagen von Solocello (Friedrich Kleinhapl) und Schlagwerk (Josef Gumpiger und David Panzl) so unter Kontrolle zu halten, dass die meist feinen und fragilen Chorpassen nicht zugedeckt werden.

Nicht jeder im Publikum hatte an diesem Abend die in jeder Hinsicht perfekt ausgelotete Aufnahme des „Sonnengesangs“ mit dem „Chorus sine Nomine“ noch so frisch im Ohr, wie die DrehPunktKultur-Rezensentin. Ihr fehlte bei der Live-Begegnung mit dem Schlüsselwerk von Sofia Gubaidulina doch einiges an Subtilität.

Die Aspekte gehen heute Donnerstag (27.5.) um 18 Uhr in der ARGE weiter: www.aspekte-salzburg.at
Zur CD-Kritik {ln:Klang- und Lichtwerdung des Lobes}