Nicht ganz lustige Eigenbrötler

DIALOGE / TAG 2 UND 3

09/05/10 Nach dem „Dialoge“-Konzert mit Klaus Lang und Theodore Anzellotti am Samstag (8.5.) war der Beifall respektvoll. Nach dem zweiten Programmblock, mit dem „Tango nuovo“-Spezialisten Dino Saluzzi und seiner jungen Cello-Kollegin Anja Lechner, war er enthusiastisch. Der Unterschied hatte seine Gründe.

Von Reinhard Kriechbaum

altFast ein wenig boshaft - so könnte man argwöhnen - hat Dino Saluzzi in einer Zwischenmoderation beschrieben, worauf es wirklich ankommt: In bedächtigem unbeholfenem Englisch, aber wohl gesetzten Worten sprach er von der menschlichen Botschaft. Davon, dass man sich als Musiker von den Wurzeln nicht zu sehr entfernen dürfe und davon, dass man das Lebensgefühl „draußen“ kennen müsse, anstatt einem abgehobenem Akademismus zu huldigen. Das sei es, was den Tango nuovo ausmache. Eine wegwerfende Handbewegung macht Dino Saluzzi, wenn er von jungen Kollegen spricht, die eben diese Rückbindung, seiner Meinung nach, oft nicht mehr haben.

Und dann also greift Dino Saluzzi zum Bandoneon, dieser eigentlich wenig attraktiven, ja: archaischen Zug- und Quetsch-Kiste ohne besondere Möglichkeiten. Er wischt über die Knöpfe, und zaubert geradezu sagenhafte Töne heraus. Er weiß den Klang zu modulieren, er lässt die tönenden Zungen singen, sanft klagen. Meinetwegen auch ein wenig melancholisch wimmern. Das lebt, Note um Note - ein Kosmos des Ausdrucks, der sich ohne jede Mühe über Kontinente und über Kulturgrenzen hinweg mitteilt.

Die deutsche Cellistin Anja Lechner kann da getrost ganz bei ihrem Instrument, bei ihrem Tonfall bleiben. Wenn einer wie Saluzzi dem Bandoneon so charismatische Töne entlockt, entsteht Dialog gleichsam aus sich selbst heraus.

In dieser denkwürdigen „Dialoge“-Stunde war also alles „echt“, glaubwürdig zu hundert Prozent. Plötzlich war es mucksmäuschenstill im Saal, wo eine Stunde vorher noch aufs Heftigste gehustet und nervös herumgewetzt gewetzt wurde: Stühleknarren zur Musikbegleitung.

altWar es womöglich schlecht, was Klaus Lang an der neuen Orgel und Theodore Anzellotti haben hören lassen? Nein, absolut nicht. Aber in ihrem streng „gebauten“ Programm huldigten sie der Symmetrie und der Form, von Cage über Froberger und Frescobaldi zu einem Stück eben von Klaus Lang. Und dann genau denselben Weg wieder zurück zu Cage. Das sollte den Kopf ansprechen und hat das tatsächlich getan. Auch zu hundert Prozent. Aber es hat leider keinen Zentimeter tiefer gegriffen. AnsHerz denken wir da lieber erst gar nicht.

Das eben ist die Gefahr, wenn man allzu sehr mit Kalkül an Musik ran geht. Es ist allemal verdächtig, wenn man dem Publikum vorher sagen muss, wann es Beifall spenden soll. Freilich: Kennen gelernt hat man da viel Lohnendes: John Cages Stück „Souvenir“ aus Mini-Motiven, die stereotyp oder ganz leicht wiederholt werden und für ein völlig anderes Gesicht des Amerikaners stehen als sein „Dream“ (auch für Orgel gedacht, hier aber dem Akkordeon anvertraut): Es war eine Ballettmusik für Merce Cunningham. Klaus Langs „Shirohige no Roujin“ baut gar nicht wenig Spannung auf zwischen ganz hohen und extrem tiefen Akkordeon-Tönen, die wie ein strenges Renaissance-Bicinium daherkommen. Da lässt sich durchaus eine Gedankenbrücke bauen zu Lamentationen von Froberger oder dem gemessenen Ernst eines Frescobaldi-Ricercars voller chromatischer Querstände. Eine „Toccata per L'Elevatione“ von Frescobaldi zwirbelte sich mit ihren Mixtur-durchzogenen Harmoniefolgen endlos dahin.

All das sind kostbare Cimelien der Orgelliteratur, so wie am Tag zuvor Stücke von Olivier Messiaen, Franz Liszt und Arnold Schönberg. Manches kennt man gut (Messiaens „Dieu parmi nous“), manches gar nicht (etwa Schönbergs Variations on a Recitative for Organ“ op. 40). In diesem Konzert am frühen Freitag (7.5.) Abend waren mit Dame Gillian Weir und Bernhard Haas natürlich stilistisch erheblich kompetenteren Interpreten aufgeboten, so wie am Samstag (8.5.) zur Vormittagsstunde Elisabeth Ullmann. Sie konnte die neue Propter-Homines-Orgel auf ihre Tauglichkeit für Reger'schen Postromantik-Barock und viel angenehmere französische Schmeichlerei (Felix Aléxandre Guilmant) hin prüfen – bevor die Jugend das Wort hatte, mit dem Projekt „Organum“, für das Volksschüler ihre eigenen Instrumente gebaut hatten.

Bilder: ISM / Wolfgang Lienbacher