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Der Furor zwischen den Zeiten

BACHGESELLSCHAFT / MATTHÄUS-PASSION

13/04/17 Als Cembalist und Komponist am Hof Friedrichs des Großen – da war Carl Philipp Emanuel Bach unmittelbar dran an der Neuen Musik seiner Zeit, zu der er selbst nicht wenig beitrug. Als Musikdirektor der Stadt Hamburg, als Nachfolger von Telemann da war er von der öffentlichen Wahrnehmung her der Musikdirektor Europas.

Von Reinhard Kriechbaum

Die Pfeffersäcke und ihre Geistlichkeit waren in ihrem musikalischen Geschmack freilich deutlich konservativer als der König. So muss man jene Matthäus-Passion, mit der sich der Bach-Sohn 1769 in Hamburg einführte, in einem enormen Spannungsfeld sehen: Johann Sebastians Maßstäbe setzendes Werk auf der einen Seite, auf einer anderen der längst sich Bahn brechende klassische Stil (ein Jahr später sollte der dann 14jährige Mozart seinen „Mitridate“ schreiben!), und irgendwo dazwischen eben Carl Philipp Emanuel Bach, der den musikalischen Sturm und Drang durchlebte. War Musikgeschichte eigentlich jemals so aufregend?

Aufregend jedenfalls ist diese Matthäus-Passion. Sie steht gleichsam unter permanenter musikalischer Hochspannung. Die Bachgesellschaft holte für die Salzburger Erstaufführung des erst vor 15 Jahren quasi wachgeküssten und von dem hier tätigen Musikwissenschafter Ulrich Leisinger editierten Werks Howard Arman ans Cembalo, von dort aus leitete er das Collegium Vocale der Bachgesellschaft und die Originalklang-Truppe Camerata-Consort. „Wie tobt das wilde Volk! Es schäumt vor Wut und fordert unverschuldet Blut...“ Da ist ein Klangredner wie Howard Arman recht am Platz, und als Spezialist für Vokalmusik ist er natürlich auch der rechte Sachwalter für einen in den Ariosi und Arien unbarmherzig kantig gesetzten Satz, der selbst Sängerinnen wie die stilistisch und technisch hoch kompetente Ulrike Hofbauer herausfordert.

Diese Matthäuspassion ist sängerisch so exponiert wie kaum eine andere Passionsmusik, und man kann dem Team (die kleineren Rollen waren aus dem Collegium Vocale heraus besetzt) nur Respekt zollen fürs Ganze. Sogar ein erkrankter Altus-Solist konnte aus dieser sachkundigen Schar nachbesetzt werden (durch Clara Tinsobin). Virgil Hartinger ist als Evangelist zur Zeit wohl der besten einer - einer der mit weichem Timbre die Geschichte erzählt, aber erstaunliche gestalterische Intensität einbringt. So bekommen die Rezitative einen Ausdruck, der mit den anderen Vokalnummern mithält. Stefan Zenkl ist ein Christus, der mit geradliniger Diktion sagt, was Sache ist.

In der Zeit von Carl Philipp Emanuel Bach hielt man es noch nicht so streng mit geistigem Eigentum, und so hat der Bach-Sohn nicht nur in den Chorälen auf bewährtes aus der Feder des Vaters zurückgegriffen. Solches war üblich. Aber aus allem anderen hört man die Gärkräfte, die damals am Werk waren, die ruppigen und gleichsam ins Fleisch schneidenden Orchestereinwürfe. Aus heutiger Perspektive wissen wir natürlich: Der Bach-Sohn ist weit übers Ziel hinaus geschossen, und vor allem gegen das Ende zu eignen der Musik durchaus bizarre Züge. Aber es ist ja auch ein gewaltiger Plot...

Dem Rumor (der im Lauf von anderthalb Stunden schon auch ermüdet) stehen dann immer wieder auch Passagen gegenüber, in denen sich der empfindsame Stil des Rokoko Bahn bricht: „Und verschied...“ – drei Mal wiederholt der Evangelist das Wort, und die beiden Traversflöten, die Fagotte umschmeicheln ihn dabei. Das hätte auch der Flötenmeister Quantz in Berlin gerne gehört.

Diese Aufführung am Mittwoch (12.4.) der Karwoche im Großen Saal des Mozarteums der bedeutete jedenfalls eine entscheidende Horizonterweiterung. Mehr als dankenswert, wenn sich die Bachgesellschaft über so etwas getraut. Es muss und darf schließlich nicht immer der alte Bach sein.
Bilder: Salzburger Bachgesellschaft

 

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