Sau rauslassen, auf Teufel komm raus!

MOZARTEUMORCHESTER / RICCARDO MINASI

23/09/16 Nennen wir die Programmwahl „verhaltensauffällig“: Da mündete Arvo Pärts „Arbos“ in der schmetternden Blechbläser-Fassung fugenlos in Händels Erste Wassermusik-Suite. Die Opernouvertüre „La tempesta di mare“ von Antonio Salieri – ein ordentliches Ungewitter mit gar mächtigem Donner und heftigen Windböen – wurde unvermittelt abgelöst von Carl Nielsens „Helios-Ouvertüre“.

Von Reinhard Kriechbaum

Nur ein Bruchteil vom Stilmischmasch, das der italienische Barockgeiger und Dirigent Riccardo Minasi mit dem Mozarteumorchester im ersten Donnerstag-Konzert (22.9.) bereit hielt: Dass einem Aufführungspraktiker wie ihm so etwas wie Ottorino Respighis „La Primavera“ einfällt, ein von Botticelli inspiriertes Tongemälde! Und auf die Idee, zu Giuseppe Verdis Ballettmusik „Le quattro staggioni“ zu greifen, muss einer auch erst kommen. Die Opernkapellmeister wissen schon, warum sie in Aufführungen der „Sizilianischen Vesper“ diese Tanzstücke geflissentlich streichen.

Aber in diesem Umfeld – Kraut und Rüben wäre falsch, weil ja doch ein Programmpunkt irgendwie zwingend in den nächsten führte – machte sich auch das Halbseidene und (gewollt oder ungewollt) Komische ansehnlich delikat. Das unausgesprochene Motto des anregenden, witzigen, ironisch durchspickten, aber immer wundersam lebendig, ja draufängerisch musizierten Abends: Sau rauslassen, auf Teufel komm raus!

Riccardo Minasi lässt – als Dirigent – an einen hinterlistigen Kobold denken, der die geigenden und blasenden Menschlein nach seiner Pfeife – pardon, Geige – tanzen lässt. Mit ihr und dem Bogen erweitert er seinen Dirigier-Radius stark, aber gerade in den barocken Stücken (neben Händels Wassermusik noch den Suiten-Gassenhauer „Les èlèments“ von Jean-Féry Rebel) spielt er auch gerne exponierte Passagen mit, leitet also vom Instrument aus. Das kann nur funktionieren, wenn die Interpretationen stilistisch firm und mit gemeinsamem Puls und Atem umgesetzt werden, wenn also zwischen Leiter und spielenden Kollegen eine belastbare Kurzzeit-Partnerschaft entsteht. Sonst täte die Musik hoffnungslos zerbröseln.

Man muss an diesem Abend also vor allem von einer gar nicht alltäglichen Schicksalsgemeinschaft erzählen, wie sie selten zustande kommt. Riccardo Minasi lässt seine Partner Wertschätzung spüren, erreicht damit gespannte Aufmerksamkeit und geballte Einsatzbereitschaft an den Pulten. Da durfte es knallen und gar knirschen, aber flugs war alles Rabiate wieder eingefangen, wurden delikate Bläsersoli mit gediegenem Charisma, elastisch und gar pastellig-fein begleitet. Riccardo Minasi ist ein absolut undogmatischer, spontan sich und die Seinen zur Schau stellender Klangredner. Manche seiner Ideen mögen krude anmuten, aber sie haben immer maximalen Charme und ur-musikantische Überzeugungskraft. Minasi nutzt Angebote des Orchesters (das sich, wie es schien, liebend gerne aus der Reserve hat locken lassen) spontan. Auch das Überzeichnen hat seinen begründeten Platz in solchen Interpretationen, die wie aus bester Laune heraus im Augenblick erfunden wirkten.

Die Horngruppe möchte man nach diesem sehr speziellen (und elendslangen) Konzert eigens vor den Vorhang rufen (nicht nur des Nordländers Nielsen etwas aufdringlicher Helios im Sonnenwagen forderte die Herren aufs Äußerste). Auch die Soloflötistin Ingrid Hasse, die Oboistin Isabella Unterer und – vielleicht weniger auffällig – der tolle Ersten Fagottist Riccardo Terzo verdienen Sonderapplaus.

Am Ende also die „Elemente“ von dem Franzosen Jean-Féry Rebel: neben Telemanns „Ebbe und Flut“ eine der spektakulärsten barocken Programmmusiken für Orchester überhaupt. Die Chaconne so stilkundig, reich an Gesten und mit technischer Brillant rüber zu bringen, das muss ein Nicht-Barockorchester erst mal so hinkriegen.

Bild: www.riccardominasi.com / Julien Mignot