Spät, aber doch

CD-KRITIK / FESTSPIELDOKUMENTE

29/08/14 Die Salzburger Festspiele haben mittlerweile ihre letzte Woche erreicht. Da schafft es das Label ORFEO endlich, seine längst angekündigten CD-Veröffentlichungen vergangener Jahre im Handel zu platzieren. Absatzfreundlich? Immerhin, das Warten hat sich gelohnt.

Von Horst Reischenböck

Gerade noch rechtzeitig auch, um des großen ungarischen Dirigenten Ferenc Fricsay zu gedenken, dessen 100. Geburtstag am 9. August zu feiern gewesen wäre. (Und nicht im September, wie das Booklet zu Frank Martins „Le vin herbé“ verkündet.) Die von dem Schweizer Komponisten vertonte Geschichte zur Oper „Der Zaubertrank“ berichtet von Tristan und Isolde. – Aber nicht als Nachdichtung des mittelalterlichen Stoffes wie bei Richard Wagner, sondern basierend auf „Le Roman de Tristan et Iseut“ des französischen Poeten Joseph Bédier. Ein merkwürdiger Zwitter, diese „Oper“, die 24. August 1948 im Landestheater seine erste szenische Uraufführung erlebte, mit Sprecher, kommentierendem Chor der Wiener Staatsoper und den wenigen Hauptgestalten der Handlung an griechische Tragödien erinnernd. Die CD ist eine willkommene Wieder-Begegnung mit großen Sängen der damaligen Zeit, wie Julius Patzak als berührendem Tristan und Maria Cebotari als Isot. Sie wurden aus dem Orchestergraben heraus von den Budapester Philharmonikern in Kammermusik-Besetzung begleitend untermalt. Vor allem aber ausgezeichnet nervig einfühlsam von Fricsay dirigiert. Dieser hatte erst ein Jahr zuvor als Einspringer für den erkrankten Otto Klemperer sein Debüt anlässlich der Uraufführung von Gottfried von Einems „Dantons Tod“ zum persönlichen Triumph gestaltet.

Wer die Aufnahme bewahrte, ist nicht dokumentiert. Der ORF jedenfalls hatte es sich damals zur, aus heutigem Blickwinkel heraus bedauerlich schlechten Gewohnheit gemacht, nach gewisser Zeit Bänder im Archiv zu löschen. Martins Werk hat auch nur dank Kopien von RIAS Berlin überdauert. Eine wertvolle Erweiterung von Fricsays Diskographie.

Ein weiterer rarer Höhepunkt aus 1961: Der erste Auftritt des legendären Borodin-Quartetts aus der UdSSR als Live-Mischnitt aus dem Großen Saal des Mozarteums. Das Ensemble ist hier in der damaligen Erstbesetzung Rostislav Dubinsky und Jaroslav Alexandrov, Violine, Dmitri Schebalin, Bratsche, und Cellist Valentin Berlinski zu erleben. Die Eckpunkte des damaligen Programms: Die schwerblütig herbe Sicht auf Johannes Brahms' Streichquartett a-Moll op. 51/2 und die eloquente Wiedergabe des Streichquartetts F-Dur op. 35 von Maurice Ravel. Dazwischen: Die Österreichische Erstaufführung von Dmitri Schostakowitschs berühmt geworden zentralem Streichquartett Nr. 8 c-Moll op. 110, das erst kurz zuvor vom Borodin-Quartett aus der Taufe gehoben worden war. In diesem Werk spiegelt sich Weltgeschichte: Der Komponist hat dieses Werk nach seinem Besuch im Bomben zerstörten Dresden geschrieben und den „Opfern von Krieg und Faschismus“ gewidmet. Erschütternd – und leider nach wie vor aktuell. Vor allem grandiose Musik, hier in einer intensiv brennendenInterpretation getragen, die trotz alter Aufnahmetechnik fasziniert und berührt.

Frank Martin: Le vin herbé. Maria Cebotari, Karl Dönch, Julius Patzak, Alfed Poell, Hilde Zadek Wiener Staatsopernchor, Mitglieder der Budapester Philharmoniker, Dir.: Ferenc Fricsay. ORFEO 2 CDs 890 142 A.
Johannes Brahms Streichquartett Nr. 2 a-Moll op. 51; Dmitri Schostakowitsch Streichquartett Nr. 8 c-Moll op. 110; Maurice Ravel Streichquartett F-Dur op. 35 Borodin Quartett. ORFEO CD 893 141 B.
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