Fake News? Glaub der Nachtigall!

CD-KRITIK / BARLAAM UND JOSAPHAT

26/01/22 Ist Gott, ist Religion eine Sache, die wir geschickten Storytellern zu verdanken haben? Die Geschichte von Josaphat, dem Sinn suchenden Königssohn und seinem geistlichen Begleiter, dem Einsiedler Barlaam, haben nicht die Christen erfunden – eine musikalische Kulturreise.

Von Reinhard Kriechbaum

Als die Geschichte im 13. Jahrhundert in der Legenda Aurea auftaucht, der weitaus wichtigsten mittelalterlichen Sammlung von Heiligendenlegenden, ist sie zur christichen Lehr-Geschichte geworden. Aber da hat sie schon viele Jahrhunderte der Metamorphose und eine geradezu abenteuerliche Wegstrecke durch unterschiedliche Kulturen hinter sich. Bis Buddha wollen wir weder örtlich noch zeitlich zurückgehen, aber viele Ur-Mythen speisen sich natürlich aus Quellen im asiatischen Raum.

Die christliche Mutation der Story ist ansehnlich genug: Die erste christianisierte Adaption dieser Geschichte war der georgische Epos Balavariani, der im 10. Jahrhundert geschrieben wurde. Er wurde im 11. Jahrhundert ins Griechische und dann ins Lateinische übersetzt und schließlich im Lauf des Hochmittelalters in viele europäische Sprachen. Griechische, lateinische, altrussische, altkroatische, altfranzösische, okzitanische und italienische Manuskripte hat die Mittelalter-Spezialistin Katarina Livljanić für ein letztlich sehr komplexes CD-, Buch- und Bühnenprojekt aufgestöbert, in Bibliotheken von Paris bis Moskau, Oxford bis Zagreb, mit Zwischenstation in Montecassino. Und die beiden Instrumental-Kollegen der Sängerin sind obendrein im Kloster Iviron am Athos fündig geworden.

Um was geht’s? Astrologen sagen dem König Avenir, einem Christenverfolger, voraus, dass sich sein Sohn dereinst bekehren werde. Daraufhin lässt der König den Sohn in einem Palast voller Luxus einsperren. Doch irgendwann kommt Josaphat ja doch in Berührung mit der Außenwelt, lernt Not und Leiden und das echte Leben überhaupt kennen. Der weise Barlaam hat für ihn eine Menge Gleichnisse und lehrreiche Fabeln bereit, die aus dem jungen Mann schließlich einen guten Menschen machen. Einen Christen, was sonst. Da wird zuletzt sogar der König katholisch.

Aber die Sängerin und Musikologin Katarina Livljanić lässt sich konfessionell nicht unterkriegen und hat in der französischen Version der Geschichte eine Passage ausgemacht, die Religions-Konstruktion am Beispiel der Ägypter beschreibt. Fazit: Gott ist eine gute Sache, so er – salopp zusammengefasst – von einem Storyteller mit lauterem Herzen erfunden wird. Damit endet beinah ironisch das Barlaam & Josaphat-Pasticcio.

Beeindruckend, was sich Katarina Livljanić da in einem Teamwork mit Philo- und Theologen, vor allem auch mit Sprachkundlern aufgehalst hat. 65 Minuten lang schlüpft sie in die Rolle einer Geschichtenerzählerin, die uns in zwölf längeren und kürzeren Abschnitten hinein zieht in den Mythos. Er läuft auf das hinaus, was man in der Literatur einen Entwicklungsroman nennt.

Das Musik-Finden sei dann wie von selbst gegangen, erklärt die Sängerin sinngemäß im Booklet. Damit meint sie: Das musikalische Erzählen geschieht in den verschiedenen Kulturkreisen durchaus ähnlich, mit ähnlichen Floskeln – nennen wir es eine Art multinational aufgeschlüsselter Psalmodie.

Dafür, dass das alles nicht stilistisch zerfleddert, steht die Sängerin mit ihrem bekannt untrüglichen Gespür für kontrollierten Affekt und inneres Gleichgewicht. Und ebenso stehen dafür Albrecht Maurer mit Fiedel und Rebec sowie Norbert Rodenkirchen mit seinen Flöten und der Harfe. Mit wenigen Tönen stützen die beiden den Gesang strukturell, arbeiten ihm auch nach Kräften meditationsfördernd zu. Aber das passiert ganz unaufdringlich. Meist wird pro literarischem Abschnitt bloß ein Instrument eingesetzt. Das gibt viel Ruhe.

Am besten lässt man sich ein auf den starken Sog, auf die Überzeugungskraft durch karge, aber sinnliche Mittel. Nicht mal, wenn sich der schwache Mensch an einem maroden Ast festklammert und auf der einen Seite das Einhorn, auf der anderen ein Drache lauert, verliert man da das Gottvertrauen. Beherzigenswert ist die Fabel von der Nachtigall, die für Josaphat drei Lebensweisheiten bereit hält und die Wichtigste auch gleich abprüft: Glaub keinen Worten, die Dich unwahscheinlich dünken! Noch ist der Prinz nicht gegen Fake News gefeit. Aber das wird.

Barlaam & Josaphat. Buddha – a Christian Saint? Dialogos, Katarina Livljanić. ARCANA A-458 - www.ensemble-dialogos.org