Im Würgegriff des Todesengels

HÖRVERGNÜGEN / SUK / ASRAEL SINFONIE

25/11/20 Der Salzburger CD-Händler Andreas Vogl präsentiert in der Essay-Reihe Hörvergnügen den DrehPunktKultur Leserinnen und Lesern Lieblings-CDs aus allen Genres von der großen Oper zum intimen Lied. – Heute empfiehlt er: Die Asrael Sinfonie von Josef Suk

Von Andreas Vogl

Das Thema Engel und Musik ist ein umfassendes und nicht immer nur mit Religion verbunden. Vom vielzitierten Spruch „Musik ist die Sprache der Engel“ über das ikonographische „Engelkonzert“ der bildenden Kunst in Gotik und Renaissance bis hin zu verschiedenen Anknüpfungen und Namensgebungen in diversen Stücken hat die Musikgeschichte viele Beispiele zu liefern. Vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts fällt in einigen Musikwerken besonders die Thematisierung und Darstellung von Engeln auf, die musikalische Inspiration liefern. Große, aber leider zuletzt in Vergessenheit geratene Künstleropern zeigen Engelszenen, die in Verbindung mit der bildhaften Umsetzung von „Posaunenengeln“ in der Renaissancezeit unter anderem auf Altären stehen: Hans Pfitzners Palestrina bekommt im ersten Akt der 1917 uraufgeführten gleichnamigen Oper in einer Vision die Eingebung zur Komposition einer Papstmesse von der Erscheinung seiner verstorbenen Frau samt Engelschor. Noch verklärender werden spirituelle Erleuchtung und Schaffenszwang in Paul Hindemiths Mathis der Maler von 1935 dargestellt: auch hier musizierende Engel, die den Isenheimer Altar inspirieren... In der bereits zuvor entstandenen gleichnamigen Sinfonie benennt der Komponist den ersten Satz Engelkonzert. Werke wie Elgar’s Dream of Gerontius (1900), Mahler’s Urlicht (1892) oder Bergs Violinkonzert Dem Andenken eines Engels (1935) seien hier nur ergänzend als Engel-Bezüge in der Musik dieser Zeit genannt.

Ich möchte aber auf einen ganz besonderen Engel und ein ebenso zu unrecht selten aufgeführtes Werk eingehen: Josef Suks (1874-1935) Asrael Sinfonie, so genannt seine „Zweite“ c-moll op.27. Hier beeinflusst ein Engel – Azrael ist unter den Erzengeln der Todesengel und trennt die Seelen vom Körper im islamischen Glauben – den schaffenden Künstler in seiner persönlichen Trauer und wird Namensgeber eines Stücks. Suk musste 1904/05 mit zwei Schicksalsschlägen kämpfen, die ihn schlussendlich zur Vollendung dieser fünfsätzigen einstündigen Sinfonie bewogen. Zum einen starb sein Vorbild und Schwiegervater Antonín Dvořák und nur wenige Monate danach dessen Tochter, Suk’s Ehefrau Ottilie. 1907 fand die Uraufführung im Prager Nationaltheater statt. Ob es sich generell um ein Stück der Programmmusik handelt, bleibt dahingestellt. Biographische Zusammenhänge des Komponisten á la Symphonie Fantastique lassen sich aber allemal erkennen.

Das Werk stellt zwar kompositorisch Bezüge zu Dvorák, z.B. durch Verwendung von Themen aus dessen Requiem oder der Oper Rusalka her, besticht aber durch eine vollkommen eigensinnige, neue und innovative Form und Tonfarbe. Die Welt von Mahlers Sinfonien und spätromantische Klänge lassen sich ebenso wahrnehmen wie bereits die kühne Harmonik so manch späterer „Neutöner“. Eine meiner Lieblingsstellen: Der Würgegriff des Todesengels ist für mich am Schluss des ersten Satzes durch sich mehrfach (22 mal!) repetierende Dreierschläge in der großen Trommel hörbar. Selten pocht das Schicksal so intensiv! Ich glaube, Thomas Adès nahm hier Anleihen in seiner (Engel-) Oper The Exterminating Angel (Uraufführung Salzburg 2016). Düster, aber versöhnlich sind die beiden letzten Adagio-Sätze, bei denen Suk sich scheinbar verklärend an seine Frau erinnert.

Kirill Petrenko wollte die Asrael Sinfonie eigentlich heuer als eines der Sommertournee-Werke der Berliner Philharmoniker auch in Salzburg präsentieren. Deswegen empfehle ich seine Aufnahme bei cpo mit dem Orchester der Komischen Oper Berlin von 2004. Wobei die Diskographie des „Asrael“ gerade in den letzten Jahren erfreulicherweise stark zugenommen hat. Für weitere Empfehlungen stehe ich Ihnen in der My Home Music Lounge am Grünmarkt gerne zur Verfügung!

Josef Suk: Sinfonie c-Moll Asrael op.27. Kyrill Petrenko. Orchester der Komischen Oper Berlin. cpo 7770012
Bild: privat