Musik mit Interpretations-Mehrwert

CD-KRITIK / JOHANN BERNHARD BACH

27/02/17 Wollte man die Verwandtschaft erklären, würde man ohne Zeichenblatt und Stift schwerlich auskommen. Johann Bernhard Bach (1676-1749) und Johann Sebastian waren Cousins zweiten Grades.

Von Reinhard Kriechbaum

Geographisch waren sie schon weniger weit voneinander entfernt als verwandtschaftlich: Ab 1703 war Johann Bernhard Organist in Eisenach und später - als Nachfolger Telemanns übrigens - dort auch Kapellmeister. Ebenfalls 1703 trat der junge Johann Sebastian in Arnstadt seine erste Organistenstelle an. Fünfzig Kilometer Luftlinie, war das nahe genug zum persönlichen Kennenlernen? Oder schon zuviel, als dass Johann Sebastian neugierig geworden wäre auf den Älteren? Bach-Verwandtschaft saß ja allerorten an Notenpulten...

Aber der eine wusste jedenfalls vom anderen: "Profonder Componist" schreibt Johann Sebastian über den älteren Cousin. Aussagekräftig auch: Von dreien der vier Streichersuiten des Johann Bernhard Bach gibt es Stimmenabschriften, für die als Kopisten Johann Sebastian Bach, sein Sohn Carl Philipp Emanuel, seine Schüler Johann Ludwig Krebs und Johann Ludwig Dietel identifiziert werden konnten. Da stand wohl eine Aufführung im Leipziger Café Zimmermann unmittelbar bevor, und wer des Notenschreibens kundig war, ward augenblicklich eingeteilt zum Vervielfältigen und Einrichten.

Orchestersuiten also, die vielleicht nicht mit jenen von Johann Sebastian mithalten, die aber dem Kompositionsstandard der Zeit absolut entsprachen. Das unterstreicht das Ensemble "L'achéron", geleitet vom Gambisten Francois Joubert-Caillet, indem es die Instrumentation höchst effektvoll aufmotzt: Da gehen nicht selten Oboen mit der Oberstimme mit, auf dass die Wirkung festlicher werde, pastorale Töne werden mit dem Einsatz von Travers- und Blockflöten herausgehoben. Und in manch betont rasant genommenen Tanzsätzen kann schon auch das Piccolo, obendrein mit markanten Auszierungen, die Brillanz erhöhen. Um konventionelle Tanzsätze geht es ja eh nicht mehr in der deutschen Suite der Zeit - diese wurde ja auch, wie um sie noch dezidierter zu emanzipieren gegenüber französische Muster, nie als solche, sondern immer als Ouvertüre bezeichnet. Zur Bourée der G-Dur-Suite könnte man, forsch wie es "L'achéron" angeht, nie und nimmer schreit-tanzen. Es sind viel eher kleine theatrale Szenen, denen die französischen Musiker eben mit nicht wenig Fantasiereichtum in der Orchestrierung weiterhelfen.

Die Air der Ouvertüre G-Dur oder jene des Werks in g-Moll sind zeitlich ausgreifende, malerisch kolorierte Stimmungsstücke. In der g-Moll-Ouvertüre hat die Solovioline einen anspruchsvollen Part. Gleich drei Sätze in der Ouvertüre D-Dur tragen den Titel "Caprice".

Vier Ouvertüren - das ist alles, was von Johann Bernhard Bach überliefert ist. Mickrig im Vergleich etwa zu Graupner, der achtzig solche Stücke geschrieben hat. Aber wenn's vielleicht auch nicht immer so in den Noten steht: Für ein gewitztes Ensemble wie "L'achéron" bieten sie gute Optionen, interpretatorischen Mehrwert heraus zu holen.

Johann Bernhard Bach: Ouvertures. L'achéron, Francois Joubert-Caillet (Gambe und Leitung). Ricercar - www.outhere-music.com