Gott, Gott immer wieder Gott!

BALKAN BLUES / JAZZIT / LITERATURHAUS

30/03/10 Humor so scheint es, ist ein ausgezeichneter Schild, um die Absurdität des Kriegsalltags abzuwehren und dem Verstand zugänglich zu machen. Dazu kreativer Balkanjazz, durchzogen von orientalischen Klängen und slawischem Temperament: Eine Kooperative aus Jazzit, Literaturhaus und Europäischer Kommission lud am Freitag (26.3.) zur literarischmusikalischen Balkan-Reise.

Von Nic Henseke

altIn gleich fünf Sprachen wurde gesprochen Englisch, Bosnisch, Mazedonisch, Kroatisch und Deutsch. So entstand schon der erste Eindruck vom babylonischen Sprachgewirr auf dem Balkan. Denn dort, im Schmelztiegel zwischen Orient und Okzident, treffen neben verschiedenen Sprachen auch verschiedene Kulturen, Religionen und Machtinteressen zusammen. Eine brisante Mischung, welche im Balkankonflikt letztendlich das jugoslawische Staatsgebilde in Fragmente zersplitterte.

“men are easier than god“, weicht Lidija Dimkovska (mazedonische Lyrikerin) der Frage aus, ob sie denn gläubig wäre. In ihrer Erzählung "Erinnerung" formuliert sie es so: "Wie ein jüdisches Paar an Fastentagen und Monatszyklen so schlafen auch ich und Gott seit Jahren in getrennten Betten." 

Gott, Gott immer wieder Gott! Ständig kehrt dieses Thema in die Diskussion zurück. Religion war einer der Hintergründe vor dem der Jugoslawienkrieg damals ausgetragen wurde und sie wird heute noch als Werkzeug der Provokation instrumentalisiert, bescheinigt Edo Popovic: Instrumentalisiert um den ANDEREN das Trauma des Krieges zu vergegenwärtigen und lebendig zu halten.

Er selbst sei als Journalist in Kroatien berühmt geworden, oder vielmehr berüchtigt, wie er selbst einräumt. Ihm liege nichts an Ideologien und nationalistischen Heldengeschichten Er selbst sei ein Kriegsjournalist ohne Pathos, ein Umstand der Edo Popovic nicht beliebt macht. Überhaupt hat er nicht viele gute Worte übrig für seine journalistischen Zunftgenossen. "Sie sind wie schlechte Politiker, nur korrupter", urteilt er. Als Tomas Friedmann darauf hin die österreichischen Journalisten lobt, hat man kurz das Gefühl eine Pointe verpasst zu haben. Der Literaturhausleiter moderierte die zweiteilige fünfsprachige Veranstaltung aus Lesezirkel mit anschließender Jazzmusik vor ausverkauftem - ja übervollem - Jazzit-Saal.

Der Autor Andrej Nikolaidis aus Montenegro hat es ebenfalls in seinem Heimatland zu einiger Bekanntheit geschafft. Man (namentlich Robert Periši?) hat ihn sogar schon mit Balzac gleichgesetzt, er selbst schwächt ab und vergleicht sich eher mit Paris Hilton. "Sie ist berühmt, weil sie berühmt ist.", meint er schmunzelnd. Publik wurde er vor allem durch die Auseinandersetzungen mit lokalen Berühmtheiten und pointiert provozierenden Kolumnen und Büchern.

Die Autoren sind trotz ihrer verschiedenen Herkunftsländer in manchen Punkten identisch: Vor allem ihre Werke sind bewegend, tragisch und amüsant zugleich. Humor so scheint es, ist ein ausgezeichneter Schild um die Absurdität des Kriegsalltags abzuwehren und dem Verstand zugänglich zu machen.

Beim zugänglich machen, für das österreichische Publikum kam Peter Arp und Christiane Warnecke als Vorleser, eine besondere Rolle zu. Denn im Gegensatz zu den Autoren, die ihre Werke in ihrer Heimatsprache viel zu schnell und unbetont vortrugen, lasen diese beiden effektvoll und beeindruckend.

Nach einer kurzen Pause geht es weiter als Boris Kovac und Gruppe La Campanella die Bühne betreten. Sie tragen Outfits, die wie eine Zigeunerversionen von Sergeant Pepper aussehen, und gleichzeitig einem Tim Burton Film entsprungen sein könnten. Sie nehmen den Zuhörer mit auf "A Sentimental Journey into the World after History", wie Kovac es selbst ausdrückt, jenseits des Elends und des Todes. Seine neue Band (La Campanella) ist die neueste Schöpfung nach LaDaABa (La Danza Apocalyptica Balcanica) die gegen Ende des Krieges entstand.

Es ist eine Art moderner, kreativer Balkanjazz, durchzogen von orientalischen Klängen, erweitert durch slawisches Temperament. So stehen Bassisten normalerweise sonnenbrillenverdeckt, cool zupfend auf der Bühne. Doch Miloš Mati? lässt es sich nicht nehmen selbst eine Tanzeinlage hinzulegen. Auch den Gitarrenspieler Vukašin Miškovi? hält es nicht lange auf seinem Stuhl, immer wieder springt er um den rasant spielenden Drummer Lav Kova? herum. Einzig Goran Peni? quetscht ruhig sein Akkordeon vor sich hin und bleibt auch gelassen, als ihm die Technik mit seinem Sampler übel mitspielte. Und so findet die Balkan-Kulturreise einen gelungenen musikalischen Abschluss.

Bild: Literaturhaus