Österreichisch musste es sein

ZUM 25. TODESTAG VON THOMAS BERNHARD (2)

10/02/14 Thomas Bernhard, so der Literaturwissenschaftler Manfred Mittermayer, sei der Autor aus Österreich, der das meiste Aufsehen erregt hat: „Mit seinen Provokationen, das auch. Vor allem aber mit der Qualität seines Schreibens.“ Zudem repräsentiere Bernhard wie kaum ein anderer Autor „die österreichische Mentalität in ihrer Gebrochenheit und Verquältheit“.

Von Heidemarie Klabacher

406Was den „Provokateur“ betrifft, müsse man unterscheiden, ob Bernhard grundlegende Fragen stelle, wie etwa nach der Haltung Österreichs in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, oder ob er sich mit einzelnen Persönlichkeiten anlegt: „Wenn er sich mit Vranitzky oder Moritz auseinandersetzt, dann ist das Geschichte“, sagt Manfred Mittermayer. Nach wie vor ein aktuelles Thema sei Bernhards Auseinandersetzung mit Fragen nach autoritärem Vorgehen, Machtmissbrauch oder Willkür: „Da muss man halt die Namen austauschen.“

„Mit der Staatspeisrede von 1968 könnte man heute keinen Skandal mehr provozieren.“ Dennoch habe Thomas Bernhard als Ferment gedient, betont der Literaturwissenschaftler. Bernhard habe erstmals signalisiert: Auch wenn ein Künstler vom Staat finanziell unterstützt wird, sei dieser nicht länger ein untertäniger Gnaden-Empfänger, sondern ein Individuum. „Da geht es nicht um Fragen des literarischen Stils oder der Sprache, sondern um den Habitus.“

Es gebe in der Literatur wohl immer noch „erstaunliche Provokationsmöglichkeiten“, aber eben andere, meint Mittermayer. In der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit etwa sei seit Thomas Bernhard  viel über die Literatur gelaufen. „Da hat Bernhard seinen großen Anteil.“ Das Stück „Heldenplatz“ war exakt auf die aktuelle Situation von 1988 zugeschnitten: „Es war damals genau die passende Provokation und hat ungeheuer gewirkt.“

Man solle sich nicht darüber wundern und müsse auch nicht bedauern, wenn eine Bernhard-Aufführung heute keinen Skandal mehr auslösen kann. Jede „Provokation“ richte sich zu jeder Zeit auf etwa Aktuelles, betont Mittermayer: „Flauberts Madame Bovary provoziert heute auch nicht mehr – und ist trotzdem tolle Literatur.“ Stichwort Bernhard-Aufführungen. Für die Theaterleute sei es schwer gewesen, „nach den großen modellhaften Aufführungen der Ära Peymann/Minetti“ eine neue Ästhetik und eigenständige Darstellungsform zu finden, „eine Art Bernhard zu spielen, die sich davon absetzt und Neues zur Sprache bringt“. Bernhards Dramen werden weiterhin gespielt – in vielen Sprachen in aller Welt. Auch in Österreich.

Aber wie war das mit dem Testament Thomas Bernhards, der nach dem Skandal um „Holzfällen“ ein Aufführungsverbot für seine Stücke in Österreich verfügt hat? Darüber setzt man sich hinweg.

„Dieses Testament ist sicher ein Zeichen seiner Distanzierung vom österreichischen Staat gewesen, keine Frage“, sagt Manfred Mittermayer. Aber: „Es ist tatsächlich eher als literarischer, denn als juristischer Text zu lesen.“ In einer juristischen Dissertation sei das Testament des Schriftstellers untersucht worden. Das Ergebnis: Es sei kein Testament, das den Erben so bindet, dass man diesen belangen könnte; vielmehr sei der Text so formuliert, dass er den Erben alle Möglichkeiten gibt.

Peter Fabjan, der Halbbruder Thomas Bernhards, habe im Bemühen, verantwortungsvoll mit dem Erbe umzugehen, eine Privatstiftung gegründet, „die als Vertreter des Autors zwischen Werk und Staat steht“, erklärt Manfred Mittermayer. Peter Fabjan habe sich nach dem Tode Thomas Bernhards entschlossen, dem Testament zehn Jahre lang zu folgen, dann habe er es freigegeben, aus einer Reihe von nachvollziehbaren Gründen. Ein Vorgehen, das er, so Mittermayer, für gerechtfertigt halte. Er als Literaturwissenschaftler und einer der Mitarbeiter an der großen Werkausgabe sei überaus froh, „dass wir dadurch die Möglichkeit haben, die literarischen Texte durch Dokumente zu ergänzen, die sonst nicht zugänglich wären. Wir können verbesserte Textausgaben herstellen und Entwicklungen in der Textgenese aufzeigen.“ Denn neben „Österreich-Bannfluch“ und Aufführungsverbot sei im „Testament“ ja auch untersagt, Texte oder Dokumente herausbringen, die zu Bernhards Zeit noch nicht publiziert waren.

Schon zu Lebzeiten des Autors sei viel Thomas Bernhard gespielt worden - und schon kurz nach seinem Tod sei das Aufführungsverbot nicht ernsthaft durchzuhalten gewesen, „weil ja auch Verträge liefen“, besonders am Burgtheater. Claus Peymann habe zudem – etwa mit Vorstellungen vor geladenen Gästen – alles getan, um das Verbot zu unterlaufen.

Ein besonders reizvolles Detail zum Stichwort „Werkausgabe“: Nicht nur spannende Einblicke in den Schaffensprozess, etwa in die „lange Genese von ‚Frost’ oder in die komplizierte Entstehung von ‚Verstörung’ tun sich auf“. Auch Fehler in der Textgestaltung in den Druckfassungen kämen zu Tage: So habe der Lektor des Suhrkamp Verlages in der Erzählung „Watten“ viele Bernhard’sche Austriazismen hinausgestrichen. Thomas Bernhard habe die Druckfahnen noch selber gelesen und versucht, für ihn typische Formulierungen – „ist gestanden“ statt „hat gestanden“, „der Siller“ statt „Siller“ – wieder hineinzubringen. „Das haben wir erstmals wieder in den Text zurück integriert. Es war Thomas Bernhard ganz wichtig, dass es ‚Österreichisch’ ist.“

Bild: Thomas-Bernhard-Archiv/Thomas Bernhard Nachlaßverwaltung
Zum ersten Teil Die Skandale sind Geschichte