Verbrecherische Melancholie

CORNELIUS OBONYA / TRAKL-LESUNG

11/12/13 Selten lässt sich ein Jubiläum so „exakt“ begehen: Vor genau hundert Jahren, am 10. Dezember 1913, um 19.30 Uhr abends las der Dichter Georg Trakl zum ersten und zum einzigen Mal in der Öffentlichkeit. Das Salzburger Publikum musste sich zur Re-Inszenierung dieser denkwürdigen Lesung nicht nach Innsbruck, sondern nur ins Marionettentheater bemühen.

Von Magdalena Stieb

015Das Marionettentheater in Salzburg, in das die Salzburger Kulturvereinigung zur Trakl-Lesung von Cornelius Obonya eingeladen hatte, sei nicht zufällig gewählt worden, sondern solle  als wichtiger Hinweis auf Georg Trakls Schaffen gesehen werden. Da sagte Hans Weichselbaum von der Georg Trakl Forschungs- und Gedenkstätte, zu Beginn des Abends: Bei seiner Lesung vor genau einem Jahrhundert trat Georg Trakl beim „IV. Literarischen Abend“ im Innsbrucker Musikvereins-Saal zwar als Lyriker auf, so Weichselbaum. „Aber der Salzburger Schriftsteller ist auch mit einigen dramatischen Versuchen, darunter dem Puppenspiel-Fragment Blaubart, in die Literaturgeschichte eingegangen.“

Was war los vor hundert Jahren in Innsbruck? Ludwig von Ficker, enger Vertrauter von Georg Trakl und Herausgeber der Literaturzeitschrift „Der Brenner“, hat dem im Umgang mit der Öffentlichkeit wenig erfahrenen Georg Trakl einen zweiten Autor – einen mit tragfähiger Stimme - zur Seite gestellt: Prosa von Robert Michel (1876-1957) ergänzte und rahmte damals die Gedichte Trakls.

Dass es sich bei einem Jubiläum nicht zwingend um einen fahlen Abklatsch historischer Begebenheiten handeln muss, der darum ringt, die Aura jenes bestimmten, einzigartigen Moments in der Wiederholung noch einmal wiederherzustellen, bewies der Abend mit Cornelius Obonya am Dienstag (10.12.) im Marionettentheater. Die Wiederaufnahme des Ficker’schen Programms ließ den Zuhörern nicht nur das literarische Leben rund um Georg Trakl wieder erstehen. Es bot zugleich Auffrischung oder neue Einblicke in das Werk von Robert Michel, einem heute weitgehend vergessen Autor.

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Cornelius Obonya hauchte zu Beginn seiner Darbietung der parabelhaften, fast holzschnittartig anmutenden Novelle „Vom Podvelez“ neues Leben ein. Die klare, zugleich gewitzte Sprache des in die Herzegowina versetzten Leutnants Robert Michel, der nur ein Jahr nach der Lesung gemeinsam mit Ginzkey und Zweig im k.u.k. Kriegspressequartier zu arbeiten beginnen sollte, erzählt von einer anderen Welt.

Inmitten der balkanischen Landschaft spürt er in der einfachen Biographie eines soeben zum Soldaten berufenen Jünglings Abgründen nach, wie sie Leidenschaft und sexuelles Begehren, das „neue Gefühl“ bei der „Berührung nackter Körper“, aufreißen können. Ein Hauch von zeitloser Prägnanz umgibt die Geschichte der Liebenden, der die nötige Tragik nicht fehlen kann: Schon immer konnte verbotene Liebe das größte Unglück bringen. Am Ende erfriert der Ehemann, vor Entsetzen beim Anblick seiner Frau in den Armen eines anderes Mannes mit den Zähnen in der Fensterstange verbissen, vor dem eigenen Haus und wird von den Ehebrechern im Stall verscharrt. Die Ehefrau muss für einen Mord, den sie nicht begangen hat, hängen.

Diese zugegebenermaßen tragikomische Kurzerzählung von Robert Michel bot den richtigen Boden für den zweiten Teil der „Vorlesung“ am 10. Dezember 1913: Trakl, der in Innsbruck seine einzige öffentliche Lesung bestritten hat, wurde für seine „übergroße Gedämpftheit des Vortrages“ in der Kritik gerügt, sein dichterisches Talent jedoch erkannt und gefeiert.

Von einer schwachen Stimme ließ Cornelius Obonya in seiner Interpretation nichts mehr spüren, ohne Zurückhaltung bot er diesem „stillen, alles in sich umtauschenden Menschen“ und dessen Gedichten seine ganze stimmliche Bandbreite.

Wie eine in gebundene Rede überführte Fassung der Michel’schen Novelle folgt das Gedicht „Die junge Magd“. Die seelische Verfasstheit der von Reue geplagten Protagonistin bei Michel findet sich in Trakls Versen wieder: „Traumhaft singt ein Knecht im Dunkel / Und sie starrt von Schmerz geschüttelt“. Die Zuhörer werden in einen Sog aus Klang und Bildmacht gezogen. Schwermütig-finstere, in ihrer Form virtuos verzahnte, bis hin zum Kryptischen verfremdete Zeilen ziehen in den Bann von Trakls Melancholie.

Aufgefangen von einem Auszug aus Michels Roman „Die Häuser an der Dzamija“ klang im Marionettentheater Trakls „verbrecherische Melancholie“ noch nach. Gemeinsam mit Cornelius Obonya durfte das Publikum ein Jubiläum feiern, das beeindruckend diejenige Lyrik in den Mittelpunkt stellte, die auch vor den uns vertrautesten Erzählungen – wie der Weihnachtsgeschichte - nicht haltmacht. Lyrik aus dem Jahr 1913 wird zum Kontrapunkt feiertäglicher Hysterie im Jahr 2013:

Frieden der Seele. Einsamer Winterabend,
Die dunklen Gestalten der Hirten am alten Weiher;
Kindlein in der Hütte von Stroh; o wie leise
Sank in schwarzem Fieber das Antlitz hin.
Heilige Nacht.

Bild: www.corneliusobonya.com / Anjeza Cikopano