asdf
 

Worte sind groß im Betrügen

LITERATURHAUS / BUCHPRÄSENTATION / SCHISCHKIN

25/01/13 „Mein ganzes Leben, seit ich denken kann, stelle ich mir die immer gleichen Fragen“, räsoniert der Soldat Wolodja in einem Brief an seine Sommerliebe Sascha. Am Donnerstag (24.1.) lasen Ines Schütz und Peter Arp im Literaturhaus aus dem Roman von Michail Schischkin.

Von Magdalena Stieb

Michail Schischkin entfaltet in seinem neuen Roman „Briefsteller“ einen Dialog zwischen zwei Liebenden, der Antworten auf existentielle Fragen verspricht.

Elias Canetti sieht im autobiographischen Roman „Die gerettete Zunge“ seine Erinnerungen „an Worte gebunden, die ich damals nicht kannte.“ Sie viele Jahre später aufzuschreiben, „scheint mir natürlich“, „ich habe nicht das Gefühl, daß ich dabei etwas verändere oder entstelle.“ Die Suche nach der richtigen Sprache und den richtigen Wörtern beschrieb auch der russische, in Zürich lebende Autor Michail Schischkin im Gespräch mit dem Publikum. Das Schreiben sei ein Kampf, „die Sprache ist mein Feind“. Verliert der Autor, kann er kein neues Buch publizieren.

Der Schriftsteller hat auch mit dem Verlust zurechtzukommen, den seine Bücher mit der Übersetzung aus dem Russischen in eine andere Sprache erleiden müssen. Aber nicht nur der Schriftsteller selbst ringt mit den Worten. Auch die „Briefsteller“-Protagonisten Sascha und Wolodja stoßen in ihren Briefen an die Grenzen der sprachlichen Verständigung. Erlaubt die in der Tradition geprägte Gattung des Briefromans dem Autor höchste Freiheit in der Sprache und dichterischen Imagination, so stellt das Briefschreiben auch für die beiden Schreiber im Roman die Grundlage ihrer eigenen Realität bereit: „Alles, was mir geschieht, ist nur dadurch real, dass ich mir überlege, wie ich es Dir erzähle“, schreibt Sascha an Wolodja.

Die Existenz der beiden Figuren gründet sich in den Briefen, den dort geschilderten Kindheits- und Familiengeschichten. Der junge Wolodja ist fest davon überzeugt, „dass die Tinte der Urstoff aller Existenz war“. Dass dabei die Sprache der Erfahrung und dem Leben nicht beikommen kann und sich die Wirklichkeit jeder Schilderung entzieht, lässt Wolodja in Reminiszenz an die Sprachkrisen der Wiener Moderne verzweifeln: „Denn je mehr von mir ich in die Worte hineinzulegen suchte, desto offenkundiger wurde meine Unfähigkeit, etwas in Worten auszudrücken. Genauer gesagt ist es so, dass die Worte zwar durchaus etwas Eigenes erschaffen können, doch selbst kannst du niemals zu Worten werden. Worte sind groß im Betrügen. Sie versprechen dich auf große Fahrt mitzunehmen, und dann, wenn es so weit ist, segeln sie heimlich los, volle Fahrt voraus, und lassen dich am Ufer zurück.“

Doch Schischkin lässt im Briefgespräch nicht nur die Frage nach Identität aufkommen: Die Freiheit, die einem Briefschreiber beschieden ist, enthebt ihn außerdem der gewöhnlichen zeitlichen Ordnung. Alles Erzählte und Gelesene ist immer schon Vergangenheit und so wird der Brief als Medium der Erinnerung Metapher der Vergänglichkeit per se. Hier nun begründet sich die dichterische Potenz: Wolodja, russischer Soldat im Boxeraufstand um 1900, ist tot, doch er lebt in Saschas Lektüre seiner Briefe und ihrer Antwort darauf weiter. Im männlichen Protagonisten figurieren sich die poetologischen Ansprüche Schischkins: Im zeitlichen Raum der Kunst passiert alles gleichzeitig, es gibt keine Vergänglichkeit und keinen Tod. Diese richtige Zeit muss die Kunst schaffen und der Dichter erschreiben. Wolodja ist tot, lebt aber weiter und kann mit Sascha zusammen sein – dieses in den Briefen sichtbare Auseinanderdriften der Zeitebenen, in denen die Liebenden weiter zusammen sein können, ist nur in der literarischen Zeit möglich.

Diese zeitliche Entgrenzung unterfüttert der Autor mit mythologischen Zeit- und Vorstellungsstrukturen: Sascha trifft auf einen sprechenden brennenden Busch, Wolodja stilisiert sich als Noah, der sich für den Tod rüstet, ihr gemeinsames Kind baut Sascha aus Schnee. Am Ende des Romans spricht der Priesterkönig Johannes im letzten Brief Wolodjas: „In meinem Reich weiß jeder, welche Zukunft ihm beschieden ist, und lebt doch getrost sein Leben. Die Liebenden lieben sich schon, noch ehe sie voneinander wissen, ehe sie einander begegnet sind, ehe sie das erste Wort miteinander wechseln.“

Michail Schischkin meint, mit jedem Buch könne er sich eine Frage seines Lebens beantworten. Überhaupt blieben die Fragen immer gleich, nur die Antworten ändern sich mit dem Alter. Sein Roman „Briefsteller“ fragt nach der Wahrhaftigkeit der Worte und lässt den Leser mit seiner spezifischen Antwort zurück: „Für das, was eigentlich passiert, gibt es keine Sprache. Und diese nicht vorhandenen Wörter sind die eigentlichen.“

Michail Schischkin: Briefsteller. Roman. Aus dem Russischen von Andreas Tretner. DVA, München, 2012. 384 Seiten, 23,70 Euro.
Bild: Literaturhaus Salzburg / Evgeniya Frolkova

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014