Subtile Annäherhung, erschütternde Fakten

LITERATURHAUS / LESUNG KRECHEL

23/01/13 „Eine solche Person darf man nicht auf dem Reißbrett erfinden“, antwortet die Autorin auf die Frage nach der Grenze zwischen fiktiver Romanfigur und der realer Person. Ursula Krechel las auf Einladung des Literaturforums Leselampe im Literaturhaus aus ihrem Roman "Landgericht", der mit dem Deutschen Buchpreis 2012 ausgezeichnet wurde.

Von Ulrike Guggenbeger

Der "Held" des Romans ist der Richter Richard Kronitzer. 1933 ist Kronitzer seiner jüdischen Abstammung wegen von Berlin nach Kuba geflohen. Allein, ohne seine Frau, die später nachkommen wollte, ohne seine Kinder, die bereits in England sicher untergebracht waren...

Im konzentrierten Ernst ihres Erzählstroms macht die Autorin ihr Publikum, ihre Zuhörer mit dem Menschen Kronitzer bekannt. Mit feinfühliger Distanz, zugleich stets nahe an der Person wahrt sie sein persönliches Wesen, sein innerstes Selbst. Nicht über Gefühlsäußerungen sondern über Momente notwendiger Gespräche, über Tun und Handeln, über scheinbare Alltagsszenen führt Ursula Krechel den Leser an ihre Protagonisten heran. Sie tut das in einer schlichten Weise, die authentisch wirkt.

Seit ihrer Kindheit durchforstet Ursula Krechel mit großer Leidenschaft zeitgeschichtliche Journale, Zeitungen, Aufsätze, Diskussionsbeiträge zum Thema zweiter Weltkrieg, Deportation, Auswanderung, Heimkehr, Wiedereingliederung. Akribisch recherchiert sie nach wie vor in Archiven, erfährt von Zeitzeugen, wie es damals war. Immer wieder melden sich Personen, die in ihren Büchern die Geschichte ihrer Eltern oder Verwandter wiedererkennen. So auch in der Causa Richard Kronitzer, der eines Tages in Lindau und nicht in Berlin gelandet ist. Seine Frau erwartete ihn. „Er war gekommen, aber wohin?“ Später trug es ihn aus beruflichen Gründen nach Mainz, während seine Frau in Lindau verbleiben musste.

In vielen Fällen ist die Autorin mit ihren Protagonisten in mündlicher oder schriftlicher Verbindung, oft ist ihr das sehr wichtig. Zugleich aber gilt auch, dass Krechel es vorzieht, Akte zu durchstöbern. „Bei meiner Arbeit handelt es sich um einen Roman, die Erinnerungen betroffener Personen, das ist eine andere Sache.“

Ursula Krechel ist ein Schreibstil zu eigen, der sich dokumentierender Fakten bedient, um sie dann in literarische Form zu kleiden. In der Verbindung des scheinbar Gegensätzlichen zeigt sich eine sichere schriftstellerische Kraft und Begabung.

Ursula Krechel, geboren 1947 in Trier, lebt in Berlin. Ihr Gedichtband „Jäh erhellte Dunkelheit” (2010) und die Romane „Shanghai fern von wo“ (2010) und „Landgericht“ (2012) sind im Salzburger Verlag Jung und Jung erschienen.

Heute Mittwoch (23.1) liest Ursula Krechel um 20 Uhr im Nexus Saalfelden aus "Landgericht" 
Bild: Literaturhaus/Alexander Paul Englert