Europa ist noch nicht genug erlesen

HINTERGRUND / WIESER VERLAG

13/03/12 Die Politik rettet Banken, nicht Verlage. Was die Kärntner Hypo und den Wieser Verlag eint, ist die Tatsache, dass das Interesse stark in den Osten gerichtet war und sich die Sache nicht wirklich gerechnet hat. Der feine Unterschied: Ein kleiner Privatverlag kann nicht mit Geld aus Steuergeld rechnen, um aus seiner misslichen Lage zu kommen.

Von Reinhard Kriechbaum

Österreicher sind Osteuropa-Analphabeten, daran gibt es nichts zu beschönigen. Man braucht bloß einmal in seinem Bekanntenkreis herumzufragen, ob jemand eine slawische Sprache beherrscht – das Ergebnis ist, in Prozentpunkten ausgedrückt, niederschmetternd. Schon daran kann man ablesen, wie wichtig die verlegerische und übersetzerische Tätigkeit von jemandem wie Lojze Wieser war und ist.

Nun hat also sein Verlag – eine Einzelhandelsfirma von Lojze Wieser – Insolvenz anmelden müssen.  Beinah ein Vierteljahrhundert lang hat Lojze Wieser sich wie kein zweiter Verleger in Österreich für die Literatur jenes Raums stark gemacht, den man seit dem Fall des Eisernen Vorhangs etwas euphemisch „Zentraleuropa“ nennt. Sprachlich ist der Vorhang freilich kaum zur Seite gezogen worden.

Lojze Wieser war und ist ein leidenschaftlicher Vorhang-Wegzieher: Er hat die Reihe "Europa erlesen" begründet, in der alleine knapp 10.000 Texte von mehr als 3.000 Autorinnen und Autoren aus über fünfzig Sprachen im deutschsprachigen Raum veröffentlicht wurden. Ein verlegerisches Unternehmen mit Kultstatus. Mit Unterstützung der Bank Austria und den Kulturkontakten Österreich wurde der "Bank Austria Literaris - Der große Preis für Ost- und Südosteuropäische Literatur" geboren. Wieser hat die "Edition Zwei" begründet, "Orient erlesen" und "Europa erhören" der Öffentlichkeit präsentiert.

In einer Presseaussendung vom 13. März werden einige wirtschaftliche Hintergründe erhellt. In den vergangenen 24 Jahren habe der Verlag knapp 1000 Bücher mit einer Gesamtauflage von 1,3 Mio. Exemplaren verlegt. Rund 14% des Umsatzes seien aus Druckkostenzuschüssen, Subventionen oder Werbeunterstützungen gekommen. „Auch wenn Lojze Wieser sein gesamtes Vermögen und alles, was er aus anderen Tätigkeiten (Lesereisen, Vorträgen, Versicherungsmanagement u.a.) lukrierte, in den Verlag investiert hatte – insgesamt an die  600.000 oder monatlich 2000 Euro – hat es nicht gereicht, um durch die verhängnisvolle Verknüpfung von Verkaufsrückschlägen und Subventionskürzungen - vor allem in den Ländern des europäischen Ostens – aus dieser angespannten wirtschaftlichen Situation heraus zu kommen.“

An öffentlicher Wahrnehmung fehlte es nicht: 22.000 Rezensionen seien über die im Verlag publizierten Bücher erschienen, in Radiosendungen im europäischen Osten, Nord- und Südosten seien über 2.600 Stunden, in Fernsehprogrammen mehr als 250 Stunden über die Bücher, die Autoren und Autorinnen sowie über die kulturelle Leistung des Verlages berichtet worden. Um die Literatur des Wieser Verlages bekannt zu machen, wurden über 1.700 Pressekonferenzen, Lesungen und andere Veranstaltungen abgehalten.

Lojze Wieser betont, dass sein Verlag damit „Öffentlichkeitsarbeit für Sprachen, Kulturen und Literaturen übernommen hat, die von den Regierungen der jeweiligen Ursprungsländer nicht geleistet wurde oder anders gesagt,  aus denen sich die Verantwortlichen immer wieder zurückziehen, noch bevor sie wirklich damit wirklich begonnen haben.“ Auch für das persönliche Leben seiner Autoren habe sich Lojze Wieser eingesetzt: So habe er „allein für die zu Emigranten gewordenen Schriftsteller“ im Lauf der 24 Jahre mehr als 250.000 Euro aufgebracht: „So wurden zum Beispiel für Bogdan Bogdanovic seit dem Jahr seiner Emigration im Jahre 1994  bis Ende 2011 Mietkosten in Höhe von 70.000.- Euro durch den Verlag bezahlt.“

Die gute Nachricht, trotz Verlags-Insolvenz: Um die kulturell bedeutende Arbeit der von Lojze Wieser geleisteten Vorarbeit in den letzten 24 Jahren zu sichern, haben Freunde eine Auffanggesellschaft gegründet und die notwendige Barquote aufgebracht, die zur Regulierung der Vergangenheit erforderlich ist. „Sie haben damit sichergestellt, dass die für Kärnten, die slowenische Minderheit im Speziellen, für Österreich und für Europa so wichtige Vermittlungsarbeit fortgesetzt wird“, heißt es in der Presseaussendung.

Das aktuelle Verlagsprogramm: www.wieser-verlag.com
Bild: Wieser Verlag