Offenheit beschützt, macht aber auch verwundbar

LITERATURFORUM LESELAMPE / LESUNG GEIGER

24/03/11 „... es hätte vieles besser ausgehen können, ich hatte auch blühende Zeiten, einiges ist kaputt gegangen, aber ich brauche es nicht mehr ...“ in diesen Worten Arno Geigers, verbirgt sich die Erkenntnis eines ganzen Lebens, einer schweren Krankheit und die Essenz der Lesung des Autors aus seinem jüngsten Roman „Der alte König in seinem Exil“.

Von Ulrike Guggenberger

Er musste, weil er wollte - dieses Buch über seinen an Alzheimer erkrankten Vater August Geiger schreiben. Er wusste, es würde ihm gelingen, erzählt der Autor im Gespräch mit Anton Thuswaldner vor seiner Lesung in den Kavernen 1595. Es ist Arno Geiger über alles Maß hinaus gelungen! Kraft seiner Person als erfolgreicher Schriftsteller und dank der faszinierenden Ehrlichkeit auch in persönlichsten Dingen: „Offenheit beschützt, macht aber auch verwundbar.“

„Der Vater ging viel auf Wanderschaft, meistens zu meinem älteren Bruder Peter, der schräg vis-à-vis wohnt und drei Töchter hat. Doch immer öfter gingen die Ausflüge über den gewohnten Radius hinaus, manchmal mitten in der Nacht, nur unzureichend bekleidet, ängstlicher Blick. Zwischendurch war der Vater nicht auffindbar, weil er sich in eines der Kinderzimmer verirrt und dort in ein Bett gelegt hatte, manchmal stöberte er in den Schränken und wunderte sich, wenn ihm Werners Hosen nicht passten. Irgendwann beschrifteten wir seine Tür mit August und sperrten die Zimmer daneben zu.“

Wie geht eine Familie mit der Veröffentlichung der Krankheit ihres Vaters um? Es zeigt sich, dass Offenheit Verhältnisse entkrampft, dass Wissen und die Annahme einer erschreckenden Diagnose den Kranken sowie seine Umgebung entspannt. Dass Unheilbares sich in Heilbares wandeln kann, dass aus Hilflosigkeit Hilfe wächst. Anerkennung und Bestätigung lösen in August Geiger eine positive Veränderung aus. „Seit wir anders mit meinem Vater umgehen, besitzt er Gelassenheit“, erkennt der mit-leidende Sohn.

„Oft saß er allein im Wohnzimmer und seufzte. Mich erschreckte jedesmal, wie verwundbar er wirkte, wie verlassen. Er hatte sich verändert, sein bedrückter Gesichtsausdruck sprach nicht mehr von der Verzweiflung darüber, vergesslich zu sein, sondern von der tiefen Heimatlosigkeit eines Menschen, dem die ganze Welt fremd geworden war.“

Geiger geht in seinem Roman zu den Wurzeln seiner Vaterfamilie zurück, erzählt von einer Kindheit in bäuerlichen Verhältnissen, unter vielen Geschwistern, von Pflichten geprägt. Kinder wurden zu einem kargen, arbeitsreichen Leben angehalten.

Die Krankheit des späteren Gemeindebeamten August Geiger „ ... kam langsam, wie in der Bauernsage der Tod“. In der Familie bemerkte man Veränderung am Vater, sein Nichtstun, das aus den körperlichen Defiziten kam. Irgendwann lebte er „... mit der Miene eines Pferdes, das reglos im Regen steht“. Man konnte nichts damit anfangen. Man war es nicht gewöhnt, Gefühle mitzuteilen. Auch der Vater nicht.

In seinem Roman „Es geht uns gut“ lässt Geiger den Vater der Familie im Älterwerden seltsam werden und sich verweigernd in sich zurückziehen. Eine Fortsetzung dieser Figur deute sich in „Der alte König in seinem Exil“ an. „In seinen Anfängen erwies sich Arno Geiger als heiterer Spieler, schuf Figuren mit Sehnsucht, der Untergang ist ihnen näher als der Aufstieg“, sagte Anton Thuswaldner in der Einführung zur Lesung.

"Zu einer anderen Gelegenheit antwortete er auf meine Frage, ob er denn seine eigenen Möbel nicht erkenne. »Doch, jetzt erkenne ich sie!«  »Das will ich auch hoffen«, sagte ich ein wenig von oben herab. Aber da schaute er mich enttäuscht an und erwiderte: »Du, das ist gar nicht so leicht, wie du denkst. Auch andere Leute haben solche Möbel. Man weiß nie.« Diese Antwort war so unglaublich logisch und auf ihre Weise überzeugend, dass ich regelrecht verärgert war. Das gibt’s einfach nicht! Warum hatten wir diese Diskussion, wenn er in der Lage war, so etwas zu sagen? Von jemandem, der intelligent genug war für solche Nuancen, durfte ich erwarten, dass er sein Haus erkennt. Aber Fehlanzeige!"

Geiger liest eine wunderbare Szene mit seinem Vater vor: Der Vater will heimgehen, er fragt den Sohn um den Weg (im eigenen, ein Leben lang bekannten Dorf) und ob er mitgehe. Das hat Geiger zunächst nicht vor. Erst als Geiger des Vaters Hand hält und verspricht mitzugehen, beruhigt dieser sich. Allein um dieses Gespräches willen muss man Geigers Buch lesen.

Eingeladen in die Kavernen 1595 hatten das Literaturforum Leselampe und die Rupertus Buchhandlung in Kooperation mit LAUBE sozial-psychiatrische Aktivitäten GmbH und dem Salzburger Bildungswerk.

Zitate aus: Arno Geiger: Der alte König in seinem Exil. Hanser Verlag, München 2011. 192 Seiten, 18, 40 Euro.
Bild: Literaturhaus/Marco Flammang