Golfschläger. Badekleid. Röntgenbild

ZEHN JAHRE LITERATURARCHIV SALZBURG / AUSSTELLUNG

17/06/22 Manuskripte von verstorbenen oder quicklebendigen Literaturgrößen, Tagebücher, Schreibblöcke, Papierschnipsel im Archiv? Darüber wundert sich keiner. Überraschend kommen Golfschläger, Gitarre oder Röntgenbild. Staunen machen der Strandoverall von Ingeborg Bachmann oder der Mantel von Bertolt Brecht. Dieser ist aber nur eine Leihgabe...

Von Heidemarie Klabacher

„Dass Archivmaterial mit Vorsicht benutzt werden sollte, gilt nicht nur für die Handhabung der empfindlichen Stücke, sondern auch für ihre Inhalte und ihre Geschichte. Denn was überliefert ist, ist nicht zwangsläufig auch wahr.“ Das schreibt Lina Maria Zangerl in der Broschüre zur gleichnamigen Ausstellung Aus der Ordnung. 10 Jahre Literaturarchiv Salzburg. „Bei einigen Nachlässen ist bei genauerer Betrachtung sogar erkennbar, dass die betreffenden Autor*innen selbst durch geschickte Vorauswahl deutlich Einfluss auf ihre Hinterlassenschaft genommen haben.“ Die Gründe hierfür seien „so vielfältig wie das Material selbst“. Oft spielten „persönliche oder politische Aspekte, Eitelkeit und ein ausgeprägter Hang zur Selbstinszenierung eine entscheidende Rolle“. Wenn dem Material noch dazu der Kontext fehlt, sei es kaum mehr sicher einzuordnen. „Vor allem bei prominenten Autor*innen führt das mitunter zu 'Tatsachen-Berichten', die sich bei genauem Hinsehen als Legenden entpuppen.“

Das Literaturarchiv bewahrt neben Manuskripten und Briefen Karl Heinrich Waggerls auch seine Gitarre und seinen Golfschläger. Diese seien bei einer Freundin des Autors erhalten geblieben und 2012 dem Literaturarchiv geschenkt worden. „Dass Gitarre und Golfschläger einmal in Waggerls Besitz waren, ist glaubhaft mündlich tradiert.“ Sie werden bei Führungen gezeigt und von Gästen „als für den Autor charakteristische Hinterlassenschaften wahrgenommen, schon allein weil ihre Archivierung gewissermaßen die Authentizität verbürgt“. Da beißt sich die Archiv-Katze sozusagen in den Schwanz: „Inwieweit sie aber tatsächlich etwas über den Autor und sein Leben auszusagen vermögen, ist nicht so einfach zu beantworten.“ Der Golfschläger ist von der Marke Slazenger, und den Namen kennt etwa die Verfasserin dieser Zeilen von James Bond und Mister Goldfinger...

Ganze Assoziations-Ketten auslösen kann auch der Mantel aus Bertolt Brechts Besitz – Schwarzer Baumwollstoff, Leihgabe Karl-Markus Gauß – besonders in Salzburg, wo Brecht von den Festspielen ja einst recht schlecht behandelt worden ist. Gauß hat den Brecht-Mantel vom Maler Herbert Breiter. Dieser wiederum hat ihn von Brecht selber bekommen, welcher das Schauspiel bei den Festspielen hätte übernehmen sollen (ist nix geworden) und im Haus Mönchsberg 17 wohnte, „wo später auch Peter Handke fast ein Jahrzehnt seines Lebens ansässig sein sollte“.

Peter Handke ist selbstverständlich prominent im LAS vertreten. Die sensibelste Archivalie ist ein Stück Birkenrinde mit einem handschriftlichen Weihnachtsgruß Peter Handkes: „Auch die Natur hat Zeilen?“ schrieb der spätere Nobelpreistärger anno 1986 für Prälat Johannes Neuhardt. Dieser gehört, mit Adolf Haslinger, Peter Mittermayr und Hans Widrich, bis heute zu den Tarock-Partnern des Dichters. (Spielt man einmal im Jahr Tarock, weil es in die Zeitung kommt, oder kommt es in die Zeitung, weil grad diese Herren Tarock spielen...).

Das Stück Birkenrinde, aus der Sammlung Neuhardt, ist wohl singulär. Aber „als eines der wertvollsten Einzelmanuskripte der gesamten Archivbestände befindet sich seit 2013 Peter Handkes Theaterstück Immer noch Sturm im Besitz des Literaturarchivs“, schreibt Manfred Mittermayer in seiner Bilanz.„Dabei wurden nicht nur die erste Manuskriptfassung, sondern auch vier folgende, vom Autor eigenhändig korrigierte Versionen dieses Dramas erworben. Ende November übergab Hans Widrich, langjähriger Freund und Quartiergeber Handkes während dessen Salzburger Zeit, dem Literaturarchiv einen Bestand weiterer Materialien zu Immer noch Sturm als Dauerleihgabe. Damit ist im Archiv der gesamte Produktionsprozess eines der wichtigsten Dramen der österreichischen Literatur nach 1945 der Forschung zugänglich. “

Das Literaturarchiv ist ein Forschungszentrum von Universität, Land und Stadt Salzburg. Seit der Gründung 2012 wurde eine umfassende Sammlung wertvoller Archivalien aufgebaut. Literaturarchiv-Leiter Manfred Mittermayer: „Das LAS beherbergt vieles von Stefan Zweig oder, ein Herzstück, das Archiv des Residenz Verlags.“ Darüber hinaus habe man sich auch „als aktive Größe innerhalb der Salzburger Literaturszene und vielfältig engagierter Veranstalter etabliert“, etwa als Partner der Rauriser Literaturtage.

Zum Jubiläum gibt es, wie regelmäßig über die Jahre,- vom LAS verantstaltet, eine Ausstellung. Die aktuelle verstehe sich nicht nur als „Schau von Highlights aus den Beständen“ oder als „Dokumentation von Meilensteinen der bisherigen Aktivitäten“, so Mittermayer. „In zehn Stationen werden Funde aus dem Depot präsentiert, an denen der Reiz des Originals, aber auch die Probleme und Herausforderungen der Archivarbeit verdeutlicht werden.“ Es ist keine reine „Papier-Ausstellung“. Exponate wie Waggerls Golfschläger oder Ingeborg Bachmanns Strandoverall erzählen auch vom Archiv als „Erinnerungslabor“. Weitere Themen sind etwa die Herausforderung, die Exponate sorgsam zu verwahren, oder „die Wege, auf denen die Bestände ins Archiv gelangt sind“. Und zu den Beständen gehören eben keineswegs nur Manuskripte oder Tagebücher.

Die Ausstellung Aus der Ordnung entstand, nach dem Konzept von Oliver Matuschek und Lina Maria Zangerl unter der Leitung von Manfred Mittermayer, in Kooperation mit dem Salzburg Museum. Sie ist eine „temporäre Erweiterung“ der Dauerausstellung Salzburg einzigartig und daher über das Salzburg Museum zugänglich.

Eine Publikation dokumentiert die bisherigen Aktivitäten des Literaturarchivs: Im Mittelpunkt stehen die bisher erworbenen Bestände, darunter einer der weltweit bedeutendsten Teil-Nachlässe zu Stefan Zweig, die Archive des Residenz Verlags, des Literaturforums Leselampe und der Rauriser Literaturtage; aber auch die Vorlässe von Karl-Markus Gauß oder Erich Wolfgang Skwara oder der Nachlass von Georg Rendl. Ausstellungen veranstaltete das LAS über Thomas Bernhard, Peter Handke, die Adolf Haslinger Literaturstiftung oder den Residenz Verlag. Strahlkraft hat die Organisation der Rauriser Literaturtage. Dazu kommen die Internet-Plattform „Stefan Zweig digital“, Publikationen zu Thomas Bernhard oder „die international viel beachtete Salzburger Bachmann Edition mit bisher fünf erschienenen Einzelbänden“, berichtet Manfred Mittermayer.

Und die Osterhasen? Die stammen aus dem Nachlass von Charlotte Herzfeld.

Aus der Ordnung – bis 4. September in der Max-Gandolph-Bibliothek (Zugang über das Salzburg Museum) – www.plus.ac.at-literaturarchiv-salzburg
Bilder: Literaturarchiv Salzburg / Kurt Kaindl