Über den Tellerrand springen

LITERATURFEST / ERÖFFNUNG

23/05/19 Die Schule lehrt den „richtigen“ Umgang mit Sprache: Es sei wichtig, Normen und Regeln einzuhalten, Grammatik zu beherrschen und auf keinen Fall dürfe man verschiedene Sprachen vermischen, das wäre ja Irrsinn. Was mag wohl passieren, wenn man diesem Credo nicht treu bleibt? Wenn Normen gebrochen und neue Wege beschritten würden? Bedeutete dies den Untergang der Sprache? Oder wäre es ein Befreiungsschlag?

Von Clemens Kainz

Das Literaturfest steht heuer unter dem allgemein gehaltenen Motto Etwas mit der Sprache machen“ - was eine kritische wie auch spielerische Auseinandersetzung mit Sprache ermöglicht.
Den Auftakt zum 12. Literaturfest Salzburg am Mittwoch (22.5.) bildete die Performance dreier Sprachkünstler im Solitär der Mozarteum Universität. Mit sanften Klängen sorgte Vera Bieber mit ihrer Band zu Beginn und zwischendurch für musikalische Unterhaltung.

Der in Israel geborene Schriftsteller Tomer Gardi betrat als Erster die Bühne und trug mit viel Witz und Charme einen Ausschnitt aus seinem zweiten Roman Broken German vor. Dieser ist, wie der Titel vermuten lässt, in gebrochenem Deutsch geschrieben. Grammatikalische Fehler und Neuschöpfungen von Wörtern werden darin stilistisch klug in Szene gesetzt und sind spielerisch in die Erzählung der Geschichte eingeflochten.

Gardis eigensinniges und anspruchsvolles Werk bricht humorvoll mit sprachlichen Konventionen, thematisiert aber auch ernste Aspekte, wie kulturelle Konflikte und existenzielle Wurzellosigkeit. Sein großes Geschick zeigt sich in der Situationskomik, die – so scheint es – erst durch die gebrochene Sprache ihre volle Wirkung entfaltet.

Danach warf Ariane von Graffenried neues Licht auf die babylonische Sprachverwirrung, indem sie in ihren Sprechtexten Sprachen symbiotisch in Einklang brachte. Sie spielte gekonnt mit Klischees und mit Silben und sparte nicht an Sprachwitz und Ironie. Kreativ wurden in rhythmischer Poesie Sprachen miteinander verschmolzen oder in Kontrast gesetzt, sprachliche Grenzen fantasievoll ausgelotet und übertreten. Als Schauplatz der Texte wurden auch geographische Grenzen überschritten, so wird etwa der Bosporus - als Schnittstelle zwischen den Kontinenten - zu einem originellen Sammelsurium verschiedenster Sprachen.

Gerhard Rühm, Grand Signeur, bildete den abschließenden Höhepunk mit einer abwechslungsreichen Mischung aus Lyriklesung, Sprechduetten gemeinsam mit seiner Frau Monika Lichtenfeld und am Klavier gesungenen Chansons. Souverän pendelte er zwischen lustigen und makabren – immer kurzweiligen – Gedichten, die meist auf eine abschließende Pointe zielen. Die Sprechduette nahmen sich Zeit im Aufbau, muteten zunächst irritierend an, offenbarten aber nach und nach ihre Genialität, wunderbar dargeboten und weitgehend perfekt harmonierend. Die Chansons stammen vom Ende der 50er Jahren, hatten freche und skurrile Texte und rundeten den Abend gelungen ab.

Alles in allem können die Darbietungen des Eröffnungsabends als mutiger und kreativer Sprung über den Tellerrand verstanden werden. Befreit von Normen und Konventionen wurde der Weg geebnet für neue Sichtweisen auf Sprache und ihre vielfältigen Möglichkeiten.

Das Literaturfest dauert bis Sonntag (26.5.) - heute Donnerstag (23.5.) gibt es im Abendprogramm um 19.30 im JazzIt eine Österreich-Premiere: Nora Gomringer, eine vielfäl- und hinterhäl-tige Spoken-Word-Künstlerin, und Günter Baby Sommer, einer der bedeutendsten Schlagzeuger des europäischen Jazz, erinnern an den Günter Grass. Ihr Programm „Günter Grass: Grimms Wörter“ ist eine Liebeserklärung an die deutsche Sprache „ohne Pathos, aber mit Pauken!“ - www.literaturfest-salzburg.at
Bilder: LFS/Erika Mayer