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Die Wahrheit über die „Salzburger Stierwascher“

LESEPROBE / DIE BEKEHRUNG DES HEGEMON

03/12/15 Von 4. bis 6. Dezember finden in der ARGEkultur die ersten „Kritischen Literaturtage“ statt. In deren Rahmen wird am Eröffnungsabend das Buch „Die Bekehrung des Hegemon“ von Gerald Grassl vorgestellt. „Als ich Sagen und Geschichten zur Geschichten der Juden in Salzburg zu sammeln begann, wurde mir oft gesagt: 'Da gibt es nicht viel zu finden…' Und nun: Das Material wurde sodann so umfangreich, dass es notwendig sein wird, aus dem Projekt zwei bis drei Bücher zu gestalten. - Eine Leseprobe.

Von Gerald Grassl

Als ich wieder einmal im Maimonides-Heim in Wien zu Besuch war, erzählte mir Frau Lena folgende Geschichte:

Nicht lange war Salzburg nach dem schrecklichen Autodafé des Jahres 1404 „judenfrei“. Den Christen war ja jede Form von Geldverleih verboten, so war man gezwungen, einige Juden wieder ins Land zu lassen. Es wird ja immer behauptet, dass es nach der letzten Vertreibung der Juden im Jahr 1498 unter Erzbischof Keutschach Stadt und Land Salzburg etwa 300 Jahre lang überhaupt keine Juden gegeben hätte. Das ist – so wie vieles andere, was auch noch heutzutage über uns Juden so zusammengeschrieben wurde – ein Unsinn. Natürlich gab es sehr viele Juden, die zum Schein konvertierten, doch im Geheimen nach dem Glauben ihrer Vorfahren lebten, aber mutige Männer und Frauen kamen in die Stadt der Vertreibung nur unter der Bedingung zurück, dass sie Garantien erhielten, straflos ihren Glauben ausüben zu dürfen. Es wurde ihnen gestattet, doch es wurde ihnen nicht mehr erlaubt, offiziell eine Gemeinde zu gründen oder gar eine eigene Synagoge zu errichten.

So lebten also bald wieder einige Juden in Salzburg – aber nur geduldet. Sie verliehen wieder Geld gegen Pfand, und vor allem der Hof des Erzbistums lebte weit über die Verhältnisse. Als sie wieder einmal ihre Schulden nicht bezahlen konnten, glaubten sie, wenn sie erneut das Gerücht streuten, die Juden hätten Hostienfrevel betrieben, würde wie seinerzeit ein Sturm der Empörung losbrechen.

Doch die Salzburger Juden wussten inzwischen die Wahrheit darüber, wie vor fast hundert Jahren den jüdischen Mitbürgern übel mitgespielt worden war, dass nur ein paar wenige Schuldner die Schandtat eines kleinen Diebes nützten, um die gesamte Bevölkerung aufzuhetzen. Noch die Enkel schämten sich für die Missetaten ihrer Ahnen! Dennoch braute schon wieder bei vielen eine gehässige Stimmung gegen die jüdischen Mitbürger herauf. Die Mitglieder der jüdischen Haushalte packten ihr Hab und Gut, verkauften weit unter ihrem Wert ihre Häuser und wanderten aus – einige in Städte deutscher Fürstentümer, andere nach Prag oder Krakau.

Als die letzten vier Judenfamilien mit ihren Karren über den Domplatz in Richtung des Judentores zogen, blieb der Älteste stehen, hob die Arme und in einem Singsang, den keiner der Salzburger Bürger verstand, sprach er drei Mal eine gleiche Formel. Es war ein wolkenloser Sommertag, doch plötzlich donnerte es drei Mal so laut, wie es noch nie gehört wurde, daraufhin fuhren Blitzbündel aus dem Himmel. Ein Stadtrat, der dies beobachtet hatte, ging auf den Ältesten zu und fragte, was das soeben bedeutet hatte.

Der Älteste antwortete leise: „Ich habe Gott gefragt, warum das Volk Israels so viel erleiden muss und warum ER nicht einmal beim Feuer, als so viele unschuldige Männer, Frauen und sogar Kinder ins Feuer geworfen wurden, ein Zeichen setzte.

Und ER hat jetzt versprochen, dass ER bald ein Zeichen setzen wird; und falls die Salzburger dieses Zeichen nicht verstehen und je wieder einen Juden verbrennen, wird ER über alle Häuser der Stadt ein Flammenmeer niedergehen lassen. Sollten die Salzburger daraus noch immer nichts gelernt haben, wird die Feste Salzburg und die gesamte Stadt darunter vernichtet und nie wieder erstehen…“

In der Nacht, nach der die letzten vier Judenfamilien Salzburg verlassen hatten, begann der Dom zu brennen. Eben hatte Erzbischof Keutschach erst um viel Geld vom berühmten Bildhauer Veit Stoß (1447 – 1533) einen Marienaltar aufstellen lassen.

Die Schwestern des Nonntalklosters entdeckten als erste die Feuerzungen auf dem Dach des Doms, schlugen Alarm und liefen zur wichtigsten Kirche der Stadt, um den eben erst eingeweihten kostbaren Altar und viele andere Kunstwerke zu retten (weswegen bis heute der Altar von Veit Stoß in der Mariä-Himmelfahrtskirche des Klosters zu bewundern ist).

Natürlich hieß es tags darauf sofort: „Das waren die Juden!“ Sogleich wurden von der Stadtwache die Häuser der Juden durchsucht, weil man meinte, dass ein Jude zurückgeblieben sei, um aus Rache für erlittenes Ungemach, Feuer an jenem Gebäude zu entfachen, das den Bewohnern der Stadt am heiligsten war.

Doch da waren weitum keine Juden mehr zu finden, die man der Tat verdächtigen und anklagen hätte können…

Die Jahre gingen ins Land und es geschah, dass die Erzbischöfe von Salzburg und ihr Hofstaat immer maßloser prassten, was nur möglich war, indem der Zehent der Bauern in immer unverschämterer Höhe eingefordert wurde, sodass denen, die täglich schufteten, damit die Tische immer gut gedeckt sind, selbst an Hunger leiden mussten.

Die Lehren des Martin Luther wurden im Geheimen von Haus zu Haus weiter geflüstert. Nachdem der Fürsterzbischof Matthäus Lang von Wellenburg 43 Täufer hinrichten ließ, und im Pongau zwei Bauernburschen festgenommen wurden, denen eigentlich nichts angelastet werden konnte, kam es zum offenen Aufstand. Bauern, Gewerken und Knappen der Salzburger Salinen bewaffneten sich, zogen zur Feste Hohensalzburg und belagerten die Stadt. Dem Fürsterzbischof war bewusst, dass seine Bewaffneten dem Heer der Bauern und Knappen niemals gewachsen wären. Boten wurden losgeschickt, die aus anderen Städten Hilfe herbeiholen sollten, doch jeder der Läufer wurde abgefangen. Nun waren die Führer der Aufständischen entschlossen, den Belagerungsring so lange aufrecht zu erhalten, bis es in der Stadt keine Lebensmittel mehr gab: Der Fürsterzbischof und die Seinen mögen selbst einmal das Hungergefühl kennenlernen!

Und das geschah bereits nach wenigen Wochen, als es innerhalb der Stadtmauern nicht einmal mehr Ratten zu jagen gab.

Da erinnerte sich der Fürsterzbischof, dass der einzige Jude der Stadt, sein Kämmerer, zwar seine zwei Kühe bereits opfern musste, doch in seinem kleinen Stall gab es doch noch einen Stier! Die Wachen wurden ausgeschickt, um das Tier zu beschlagnahmen. Doch der Jude stellte sich ihnen entgegen: „Und was geschieht dann? In zwei, drei Tagen ist das Fleisch verzehrt. Was wollt ihr dann noch beschlagnahmen? Wir müssen eine andere Lösung finden!“

Er führte seinen grauen Stier auf die Stadtmauer und ließ ihn dort grasen. Dann brachte er ihn zurück zu seinem Haus, rieb den Stier nun mit braunem Schlamm ein, und ließ ihn weiter grasen. Nach einer Weile zog er ihn wieder weg, und jetzt bestäubte er ihn mit Ruß, brachte den „schwarzen Stier“ hinauf zu den Zinnen, wo er auch noch die letzten Grashalme fraß…

Nun glaubten die Rebellen tatsächlich, dass es in der Stadt noch genügend Vorräte gab und zogen wieder ab: Dem Fürsterzbischof möge die Belagerung jedoch eine Warnung bleiben!

Kaum war das Bauernheer abgezogen, wurde von den Bewohnern der Stadt der Stier zur Salzach geführt und in einer ausgelassenen Pritschelei, an der sich vor Freude viele Burschen beteiligten, sauber gewaschen.

Ein paar Knappen der Nachhut des Bauernheeres, die aus einiger Entfernung das Spektakel beobachtet hatten, durchschauten die List der Salzburger Bürger, und sprachen künftig von diesen Städtern nur mehr verächtlich als „Salzburger Stierwascher“…

Der Kommandant der Stadtwache jedoch behauptete, dass ihm diese List eingefallen wäre und erhielt dafür eine hohe Belohnung. Dem jüdischen Kämmerer war das auch recht – Hauptsache, man ließ ihn, seine Familie und seinen Stier in Ruhe.

Gerald Grassl: Die Bekehrung des Hegemon. Sagen und Geschichten zur Geschichte der Juden in Salzburg. Edition tarantel, Wien 2015. 20 Euro. Zu bestellen in der Redaktion Tarantel, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Buchpräsentation am Freitag (4.12.), 19 Uhr, ARGEkultur. Das Duo Cantastorie singt und spielt jiddische Lieder.

 

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