Das Tal der tausend Morde

LESEPROBE / MANFRED KOCH / TOTGELACHT

10/10/15 „Krimikillerkrimis“ hat Manfred Koch unter dem Titel „totgelacht“ geschrieben. Kurz- und Kürzestgeschichten, in denen das Genre so richtig ermordet wird. Mit einer Überdosis von Humor. Als Leseprobe das beispiel für einen „Brutaltotalregionalkurzkrimi“ aus der Feder des Salzburger Satirikers. Natürlich ohne Auflösung.

Von Manfred Koch

Jedes Mal, wenn ich unterwegs zu einer Leiche bin, danke ich dem Schicksal dafür, dass ich hier in unserem schönen Tal Polizist sein darf. Ich bin ja wirklich schon viel herumgekommen auf der Welt, aber bei uns ist es einfach am schönsten. Deshalb kann ich nur sagen: Leute, kommt zu uns ins Brunntal! Glaubt mir, wenigstens einmal im Leben muss man im Brunntal gewesen sein, wenn man wissen will, wie es ist, endlich seinen Sehnsuchtsort gefunden zu haben, also genau den einzigen und einzigartigen Ort, von dem man schon immer geträumt hat und der es einem unendlich schwer, ja, nahezu unmöglich macht, ihn jemals wieder zu verlassen. Leute, vergesst Neapel! Das Brunntal sehen und sterben, das ist das wahre Glück!

Lange Zeit waren wir ja eher ein touristischer Geheimtipp. Aber seit die Fremdenverkehrsverbände von Kirchenbrunn, Unterkirchenbrunn und Oberkirchenbrunn beschlossen haben, untereinander einen permanenten Wettstreit um den Titel Das Dorf mit der schönsten toten Saison auszutragen, geht es mit den Gästezahlen mordsmäßig bergauf. Unglaublich, mit welcher Begeisterung unsere Brunntaler seither dabei sind, einander auszustechen. Wirklich jeder macht mit, und keinem ist irgendein Opfer zu groß, wenn es darum geht, sein Dorf den Fremden so zu präsentieren, dass die es einfach zum Sterben schön finden. Von diesem belebenden Geist ist das ganze Brunntal erfüllt, und unsere Gäste können sicher sein, dass man sich sogar im abgelegensten und einsamsten Bergbauernhof geradezu dafür umbringt, sie rundum glücklich und zufrieden zu machen. Echt, Leute, in der Gastfreundlichkeit, die man bei uns erleben kann, steckt halt wirklich noch wahres Herzblut!

Ich merke gerade, dass ich schon wieder ins Schwärmen geraten bin, aber wenn es sich um unser wunderschönes Brunntal dreht, kann ich einfach nicht anders. Mein Postenkommandant sagt immer, dass ich mich gefälligst zurückhalten soll und dass er mir irgendwann den Schädel einschlagen wird, wenn ich nicht damit aufhöre, statt nüchterner Polizeiprotokolle ständig Texte zu verfassen, die besser in eine Fremdenverkehrswerbebroschüre passen würden, aber auch wenn er es aus irgendeinem Grund nicht zeigen kann, ist er in Wirklichkeit ganz sicher genauso wie ich mächtig stolz auf unser Brunntal und wäre tödlich beleidigt, wenn jemand behaupten würde, bei uns sei es sterbenslangweilig. Trotzdem werde ich mich ab sofort bemühen, über den Fall, um den es hier geht, in aller gebotenen Objektivität zu berichten und ein ganz und gar nüchternes Protokoll niederzuschreiben. Ich hoffe, dass es mir gelingt.

Also der Reihe nach: Kurz vor zwölf Uhr habe ich im Polizeiposten Kirchenbrunn nacheinander zwei Telefonanrufe erhalten. Der erste Anrufer hat das Auffinden einer weiblichen Leiche hundert Meter unter dem Gipfel des Brunnsteins gemeldet. Der 3478 Meter hohe Brunnstein bildet übrigens als höchster Berg den überaus eindrucksvollen Talschluss im Norden des Brunntals und ist mit seiner bis zum Gipfelkreuz führenden, gut ausgebauten, asphaltierten Bergstraße und den drei äußerst empfehlenswerten Berggasthöfen Zum Hirschen, Zur Gams und Zum Steinadler eines der grandiosesten und beliebtesten Ausflugsziele in unserer Region.

Der zweite Anrufer war der Wirt vom Brunnhof in Unterkirchenbrunn, der mir mitgeteilt hat, dass es zu Mittag als besondere Spezialität Rehfilet mit Pilzsauce geben würde, beides absolut frisch, weil er das Reh erst vor vier Stunden in einem unserer wildreichen, romantischen Forstgebiete eigenhändig erschossen und danach auf dem Heimweg durch den Wald auch noch die Pilze gefunden habe. Ich erlaube mir an dieser Stelle ausnahmsweise die Anmerkung, dass niemand auf der Welt ein besseres Rehfilet mit Pilzsauce zu machen versteht, als unser Brunnhofwirt, und es ein unentschuldbares Verbrechen ist, sich diese Köstlichkeit entgehen zu lassen. Deshalb habe ich mich entschlossen, zuerst hinunter zum Brunnhof zu fahren und erst nach dem Mittagessen hinauf zur Leiche auf dem Brunnstein.

Manfred Koch: Totgelacht – Krimikillerkrimis. Styria krimi, 2015. 12,90 Euro – www.styriabooks.at
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

Manfred Koch liest am Freitag (23.10.) am zweiten Abend des Literaturfests „Peng“ im Literaturhaus Salzburg – www.literaturhaus-salzburg.at

Eine Buchpräsentation und Lesung gibt es am 12.11. um 19.30 Uhr in der Rupertusbuchhandlung – www.rupertusbuch.at