… aber manchmal wurde es ernst…

LESEPROBE / FEDERMAIR / INS LICHT

10/09/15 Wie ist das, Monsieur Jean, wenn himmelhohe Türme schwanken? „Ins Licht“ ist ein genau komponierter Erzählzyklus, dessen Geschichten um acht verschiedene Zimmer kreisen. Das Treiben beginnt in der Provinz, Der Erzähler führt in so manche Weltstadt und in die Freiräume der Phantasie. - Hier eine Leseprobe.

Von Leopold Federmair

Kann es sein, daß er mich nicht erkannt hat? Nein, glaube ich nicht. Noch weniger Zweifel auf meiner Seite, schließlich stand sein Name auf dem Schildchen, das er am Revers trug wie die anderen Angestellten auch. Damit der Kunde weiß, mit wem er es zu tun hat. Gut, ich habe nur einen Erlagschein abgegeben, haben Sie ein Konto bei uns? Nein? Macht zehn Schilling extra, trotzdem hätte er mich erkennen müssen. Hat mich erkannt. Ob ich mich so stark verändert habe? Ich habe mich doch nicht verändert? Gut, die Frisur, die Haare gefärbt, ein bißchen fester die Figur, wer hält schon sein Mädchengewicht. Und er? War auch derselbe, älter, aber nicht anders, nicht aus der Form gelaufen, nur das Gesicht so… glatt. Sauberes Gesichtchen, keine Spur von… Keine einzige Narbe, nichts. Schminkt er sich? Ganz dezent? Schminkt sie ihn? Ist er verheiratet? Ich schaute auf die linke Hand, auf die rechte, den Finger, das feine Haarbüschel, den Ring. Kann ich noch etwas für Sie tun?

Nein, nichts zu tun. Ich drehte mich um. Lief über die Treppe, stolperte. Irgendwie hat es mich doch getroffen, daß er mich nicht erkannte. Ich war ja nur zufällig vorbeigekommen in der Gegend dort, beim Wochenmarkt. Ich wohne schon lange auf der anderen Seite vom Fluß. Der Alte soll in derselben Bank gearbeitet haben, dreißig Jahre früher, bevor er das Gasthaus übernahm. Manchmal hat er den Gästen seine Bankgeschichte erzählt, immer dieselbe, von einem der maskiert in den Schalterraum kam, Zorro, noch nicht ausgenüchtert vom Faschingsball, legte einen Zettel auf den Tisch, das ist ein Überfall, sagte der Alte: Da fehlt ein L. Wieso, sagte Zorro und beugte sich über den Zettel, was soll denn fehlen?

Und an der Stimme erkannte der Alte, der damals fast so jung war wie Aki, als ich ihn kannte, den Mann, der ein Stammkunde im Gasthaus war, und sagte: Geh heim, schlaf deinen Rausch aus, und der Zorro faltete den Zettel zweimal zusammen und trollte sich davon. Ich sag euch nicht, wer es war, sagte der Alte, sonst kriegt er noch Schwierigkeiten, hat eh schon genug. Die Sache war längstverjährt, aber der Alte tat so, als sei es gestern gewesen.

Ein paar Wochen, nachdem Aki bei der Bank angefangen hatte, schlug ich ihm vor, einen Einbruch zu machen, am Wochenende, nachts, er behauptete, den Code vom Haupttresor zu kennen. War natürlich nicht ernst gemeint, wir dachten uns oft etwas aus, aber manchmal wurde es ernst, und ich stellte mir vor, wir zwei wie Bonnie und Clyde, ich hatte den Film mit Faye Dunaway gesehen, damals in Amerika, als ich in dem Kaff am Highway 209 arbeitete, nicht am Highway 61, das war eine der Lügen, die uns verbanden, und wenn ich frei hatte, fuhr ich manchmal nach Reading, da gab es ein Kino, das auch ältere Sachen spielte. Aber Bonnie und Clyde, da machte er nicht mit, er saß kalt und steif auf dem Bett und sagte, er müsse jetzt üben.

Mit freundlicher Genehmigung des Otto Müller Verlages
Leopold Federmair: Ins Licht. Erzählungen. 200 Seiten. 20 Euro, e-Book 16,99 Euro - www.omvs.at
Bild: Otto Müller Verlag