Nicht unsichtbar. Frei

LESEPROBE / ÜBER WALTER KAPPACHER

23/10/13 Spätestens seit der Verleihung des Georg-Büchner-Preises gilt Walter Kappacher als einer der großen Sprachkünstler unserer Zeit. Am Donnerstag (24.10.) wird er 75 Jahre alt. Im Verlag Müry Salzmann ist nun ein Buch über den Autor erschienen – die erste Gesamtdarstellung über ihn und sein Werk. Namhafte Literaturwissenschafter haben Beiträge geschrieben, etwa Paul Ingendaay, der sich Gedanken macht über „Walter Kappachers Beruf“, wie dieses Feuilleton im Untertitel heißt. - Eine Leseprobe.

Von Paul Ingendaay

098Wenn den Leuten gar nichts mehr einfällt, sagen sie über die unsichtbaren Schriftsteller gern, sie lebten „zurückgezogen“, sie „hielten sich dem Literaturbetrieb fern“ und so weiter. Als wäre alles an der Isolation, in der einer sich findet, frei gewählt. Doch meistens kennen wir das alternative Leben nicht, für das ein Künstler sich entschieden hätte, wenn er gekonnt, wenn man ihn gelassen, wenn die Umstände es ihm erlaubt hätten.

Was aber müssen die Umstände ihm „erlauben“, was er sich nicht auch nehmen könnte?

Im Fall dieses einen, Walter Kappacher, hat ein einziger Literaturpreis die äußere Situation, nicht allerdings den Mann verändert. Bis zum Frühjahr 2009 war er einer der Zurückgezogenen, der „Stillen im Lande“ (noch so ein Euphemismus aus Ratlosigkeit). Nach der Zuerkennung des Büchner-Preises jedoch verwandelte er sich unwiderruflich in einen Büchner-Preisträger. Das war segensreich, denn schlagartig stieg das Interesse an seinem Werk, frühere Bücher wurden nachgedruckt, eine Werkausgabe entstand, man bat ihn um Essays, Prosastücke, Dramen …

„Du arbeitest viel“, sagte ich meinem Freund Walter neulich am Telefon.

„Ist es viel?“, fragte er. Vielleicht sagte er auch: „Das könnte sein.“ Oder: „Findest du?“ Dann fügte er hinzu, früher, vor dem Büchner-Preis, habe ja niemand etwas von ihm gefordert, ihn nicht mit Abgabefristen unter Druck gesetzt. Er habe alles nach seinem eigenen Plan erledigen können, und das heißt auch: im eigenen Tempo. Irgendwann erwähnte er, eine Zeitung habe ihn um einen Beitrag über einen berühmten, aber wenig gelesenen klassischen Schriftsteller gebeten. Er habe zugesagt, einen Aufsatz zu dessen rundem Geburtstag zu schreiben. (In der Zeitung sagt man nicht Aufsatz, sondern Artikel.)

097„Und?“, sagte ich. „Was zahlen sie dir?“

„Das habe ich nicht gefragt.“

Ich war fassungslos. Weniger über meinen Freund Walter als über den Zeitungsredakteur, der dem Schriftsteller Walter Kappacher nicht sofort ein Honorarangebot gemacht hatte. Honorar, pflegte mein Vater zu sagen, hat mit Ehre zu tun! Aber es ist auch typisch, dass Walter Kappacher nicht danach gefragt hat. Er hat nämlich nie gefragt, nicht gefordert, um nichts gebeten.

Lange zuvor, vor Jahren, sagte er mir einmal: „Ich habe für meine Bücher nie einen Vorschuss bekommen.“ Ich wollte ihn fragen: Wovon hast du denn gelebt? Aber bevor ich es tun konnte, sagte er, damals habe er bei seiner Mutter gelebt, ein kleines Zimmer bewohnt und sich nicht viel geleistet. Er sei zurechtgekommen.

Seine Bücher beweisen es. Er ist zurechtgekommen.

Wer Walter Kappachers autobiographischen Band Ein Amateur liest, erkennt, dass die Suche dieses jungen Mannes namens Simon nicht mit materiellem Gewinn zu tun hat, sondern mit ästhetischen Neigungen, einer sich öffnenden oder weitenden Lebensperspektive, mit Sinn und dessen Suche. Auf eine Weise, wie ich es bei keinem anderen Autor dieser Generation gelesen habe, wird das Materielle kaum beachtet. Es wird nur generisch erfasst. Davon lesen wir auch in den frühen Novellen Morgen und Rosina: dass Geld Macht verleiht, zum Beispiel. Dass ein hohes Einkommen einen Mann in den Augen derer, denen er zu gefallen sucht, attraktiv macht. In Rosina entwickelt sich unter den Frauen im Büro ein genaues Kalkül, welcher heiratsfähige Mann was verspricht in Bezug auf Geld, Auto, Karrierechancen. Walter Kappachers Helden gehören nie zu den Siegertypen im Reich der bezifferbaren Gegenstände.

Einer der einnehmenden Züge dieser frühen, mir bei jedem Wiederlesen nahen und sympathischen Bücher ist, dass sie sich weigern, die Zukunft mit einem Preisschild zu versehen. Was vorn auf dem Weg liegt, dort, wo unsere Schritte noch nicht waren, können wir nicht wissen. Um es zu erfahren, müssen wir uns in Bewegung setzen. Hier kommt die Freiheitsahnung der Figuren mit dem Freiheitsbegriff des Schriftstellers zur Deckung. Nein zu sagen, so schärfen uns diese Bücher ein, kann wichtiger sein, als Ja zu sagen.

So, wie Walter Kappacher sich mit Mitte dreißig jedem bürgerlichen Beruf verweigert hat (noch so ein Euphemismus, in Wahrheit ist er geflohen, hat Reißaus genommen), so ist sein Künstlerleben buchstäblich eines ohne Geld gewesen. Er erwartete es nicht, bekam es nicht, bedurfte seiner nicht.

Natürlich ist ihm geholfen worden. Aber der Schriftsteller Walter Kappacher hat den Grad seiner künstlerischen Unabhängigkeit nicht nach seinen finanziellen Möglichkeiten bemessen, sondern umgekehrt: Sein Künstlertum diktierte ihm den Grad seiner finanziellen Möglichkeiten.

Währenddessen entstanden seine Bücher, ohne Auftrag, ohne Vorschuss, ohne Abgabefrist.

Eigentlich wollte ich an dieser Stelle von ganz anderen Dingen sprechen, aber jetzt, wo gesagt ist, was hier gesagt ist, kommt es mir richtig vor, auch dies einmal gesagt zu haben.

Frei zu sein vom Materiellen auf die Weise, auf die Walter Kappacher sich vor vielen Jahrzehnten befreit hat, bedeutet ja auch Freiheit von anderen Zwängen. Es bedeutet, nach eigener Maßgabe schauen, prüfen, wandern und erkunden zu können. Wovon ich hätte sprechen wollen – seinem Humor; seiner voraussetzungslosen Wahrnehmung; seiner Tiefe ohne Angestrengtheit; seinem unnachahmlichen Blick auf die Natur; seinen Entdeckungen in der Fotographie –, all das ist in der Absage an das Materielle enthalten.

Manfred Mittermayer, Ulrike Tanzer (Hrsg.): Walter Kappacher. Person und Werk. 192 Seiten, Verlag Müry Salzmann, Salzburg 2013, € 24.- – www.muerysalzmann.at
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Müry Salzmann

Das Buch wird heute Mittwoch (23.10.) um 19 Uhr in der Max-Gandolph-Bibliothek vorgestellt. Natürlich verbunden mit einer Lesung Walter Kappachers, der tags darauf, am 24. Oktober, 75 Jahre alt wird.