Hintergrundgeräusche des Alleinseins

LESERPROBE / SEIDENAUER / HAUSROMAN

09/11/12 „Was ein Haus vom Leben erzählen würde, wenn es nicht dessen stummer Zeuge wäre“: Das erzählt Gudrun Seidenauer in ihrem neuen Buch, das im Residenz Verlag erschienen ist, in ihrem „Hausroman“. Das Haus beobachtet seine Bewohner. Es denkt sich seinen Teil, verstört die Leser mit seinem Scharfblick auf die erdachten und gefühlten Sorgen der Menschen, fühlt deren Sehnsüchte und Ängste - und kann doch nicht eingreifen. Natürlich nicht. – Hier eine Leseprobe.

Ihre Stimme ist anders. Das Kindliche ist weg. Gut dass er
Aufnahmen hat, Geplapper vom sechsten Geburtstag, Vorlesen,
Gesungenes. Die müsste er gelegentlich digitalisieren.
Schnell stellt er noch ein paar belanglose Fragen, damit er
diese neue Stimme zu hören kriegt. Er wird sich schon daran
gewöhnen. An ihre Anwesenheit und daran, dass sie kein
Kind mehr ist.
»Viel redest du ja nicht gerade«, sagt er, leert sein Weinglas
in einem Zug und ist dabei, sich nachzuschenken.
»Ja, Mama sagt, ich bin wie du, wenn sie sich darüber
ärgert.
« Blitzschnell kommt das, mit einem Blick – lauernd?
In Gesichtern lesen ist anstrengend für ihn, es macht ihn unruhig.
Dora redet also noch von ihm. Aber wie.
»Und, ärgert sie sich oft?«
War das zu viel? Zähe Luft. Er hat sich so darauf gefreut,
dass sie kommt.
Katharina verdreht die Augen. »Ja, andauernd.« Aber sie
lächelt, immerhin lächelt sie.
»Egal, jetzt wohn ich hier. Ist es dir wirklich recht?«
Die Unruhe, die ihn bei solchen Fragen ergreift, macht
ihn starr. Er braucht dann immer eine Weile, bis er antworten,
sich überhaupt wieder rühren will. Immer dieses Fragen,
wo es nichts zu fragen gibt. Es sind immer die Frauen, die an
der inneren Sicherheit rütteln. Katharinas Kindergesicht ist
noch erahnbar. Ziemlich gewachsen ist sie, kaum kleiner als
er und sehr schmal. Ihre Schlüsselbeine heben und senken
sich deutlich über dem Ausschnitt des weiten roten Shirts
mit dem unentzifferbaren Schriftzug, irgendwas mit Girl.
Hat sie das Fragen von der Mutter? Wenn er an Dora als
Katharinas Mutter denkt, dann ist es besser. Mütter sind eine
unverzichtbare Gefahr. Irgendwann aber kann man gehen,
und Katharina scheint das auch begriffen zu haben.
»Aber sicher«, sagt er mit allem Nachdruck.
Sie glaubt ihm nicht. Er hat einfach zu lange gebraucht
mit der Antwort. Und ich, ich kann ja nichts tun, ihm keinen
Schubs geben, rein gar nichts. Außer die Gespenster könnten
es, aber die sind unbrauchbar und tun, was sie wollen, nehmen
keine Aufträge entgegen, sind nur sie selbst, also reichlich
dumm, und irren unrettbar und ausschließlich in ihrer
eigenen Geschichte umher.
Dieses Lauern, dieses Beobachten, dieses Zögern. Und
wieder zu spät.
Konrad nötigt Katharina dann doch zu einem Vitaminsaft.
Sie besteht auf zwei Dritteln Wasser. Die Gläser klirren unschön
aneinander. Er schiebt das Unbehagen schnell weg.
»Für wen ist das ganze Zeug da?«, fragt sie mit Blick in
den offenen Kühlschrank.
»Na, für dich natürlich.« Sie verzieht das Gesicht, unbestimmbar.
Bloß kein Wort zu viel, das scheint ihm eine brauchbare
Grundregel für den Anfang.

Mit freundlicher Genehmigung des Residenz Verlages.

Gudrun Seidenauer: Hausroman. Roman. Residenz Verlag, St. Pölten/Salzburg/Wien 2012. 315 Seiten, 21,90 Euro - www.residenzverlag.at
Am 13. November um 20 Uhr liest Gudrun Seidenauer im Literaturhaus Salzburg aus ihrem Buch - www.literaturhaus-salzburg.at