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Wiederentdeckte Universalkünstlerin

BUCHBESPRECHUNG / CONSTANZE GEIGER

31/12/24 Über hundert Jahre schlummerten die Kompositionen von Constanze Geiger im Dornröschenschlaf. Das Wiener Neujahrskonzert der Komponistinnen 2024 hat diesen beendet. Auch die Wiener Philharmoniker haben diesmal eines ihrer Werke aufs Programm des Neujahrskonzerts gesetzt. Und es gibt eine druckfrische erste Biografie.

Von Oliver Schneider

Wenn die Wiener Philharmoniker am 1. Jänner 2025 im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins Platz nehmen werden, wird auch im 71. Neujahrskonzert seit 1939 keine Dirigentin am Pult stehen, sondern zum siebten Mal Riccardo Muti. Aber erstmalig wird neben den Werken der Sträusse und Co. das Werk einer Komponistin erklingen: der Ferdinandus-Walzer op. 10. Die Komponistin, Pianistin und Schauspielerin Constanze Geiger und komponierte ihn als zwölfjähriges Wunderkind.

Raimund Lissy, Vorgeiger der Zweiten Violinen der Wiener Philharmoniker, ist auch Leiter des Historischen Archivs des Orchesters und je länger je mehr Musikforscher. Er hat die Studien Virtuosität und Wiener Charme. Joseph Mayseder und Das Hofopernorchester als Konzertorchester. Wiener Philharmoniker 1842–1864 geschrieben. Für das Neujahrskonzert der Komponistinnen 2024 im Ehrbar-Saal hat er Constanze Geiger für sich entdeckt und sich mit Feuereifer an die Recherche über die vielseitige Künstlerin gemacht. Das Buch konnte nun rechtzeitig vor dem weltweit übertragenen Neujahrskonzert 2025 erscheinen.

Constanze Geiger kam 1835 als Tochter einer Modistin und eines Komponisten, Organisten und Musiklehrers am kaiserlichen Hof in Wien zur Welt. Bereits mit neun Jahren stellte sie ihre ersten beiden Kompositionen vor. Der Vater hat ihr Potential zum Kinderstar rasch erkannt. Es folgten ab 1845 Konzertreisen nach Paris, London und in andere europäische Zentren. Auch andere erkannten ihr Ausnahmetalent. So widmete ihr Johann Strauss Vater seine Flora-Quadrille op. 177, und führte – wie vor allem auch sein Sohn Johann – ihre Walzer auf. Ebenso überzeugt von ihrem Talent war der Bruckner- und Schubert-Lehrer Simon Sechter, der sie in Kontrapunkt und Komposition unterrichtete. Den altersschwachen Gaetano Donizetti suchten Tochter und Vater Geiger in Paris auf. Als Vierzehnjährige trat Constanze erstmals öffentlich als Klaviersolistin auf. Ab 1850 reüssierte sie mit unterschiedlichem Erfolg auch als Schauspielerin.

Dass es auch negative Stimmen über sie, ihr Schaffen und vor allem auch den wohl spürbaren Ehrgeiz ihrer Eltern gab, ist nachvollziehbar. In jedem Fall zeigt Raimund Lissys in kürzester Zeit entstandenes Kompendium, was für eine interessante, vielseitig künstlerische aktive Persönlichkeit Constanze Geiger im Wiener Kulturleben war.

Wer eine flüssig geschriebene und angenehm lesbare Biografie erwartet, wird enttäuscht sein. Lissy gibt dem geneigten Leser im Vorwort aber die passende die Anleitung für die Lektüre. Je nachdem, ob man das Buch als Wissenschafter, Musikerin oder Musikinteressierter wählt. Der biografische, erste Teil gliedert sich in Constanze Geigers Wiener Jahre, ihre Zeit als Mutter und (nicht standesgemäße) Ehefrau von Leopold Prinz von Sachsen-Coburg und Gotha ab 1860 und ihre Erhebung in den Adelsstand. Die Hochzeit rückte ihr professionelles künstlerisches Wirken in den Hintergrund. Der Großteil ihrer Kompositionen stammt aus den Wiener Jahren. Ab und zu wirkte sie auch noch in Theateraufführungen für Liebhaber in ihrer neuen Heimat in Gotha und Paris mit. Wien blieb aber Reisefixpunkt im Jahreskalender. Constanze, nun Freifrau von Ruttenstein, verstarb 1890 in Dieppe (Frankreich).

Lissy schildert Constanze Geigers Leben chronologisch, eher trocken und detailreich. Man kann sich entweder auf seine Schilderungen konzentrieren oder sich immer mal wieder durch die eingefügten, zusätzliche Quellentexte auf vertiefende Abwege führen lassen. Gerne verliert man ab und zu den Faden, da viele Zusatzinformationen einen Einblick in das damalige Wiener Kulturleben geben.

Abgedruckt sind 55 Briefe von Constanze Geiger, aufgelistet die Werke und eine Aufführungsdokumentation bis 1906. Abgerundet wird diese umfassende erste Arbeit über Leben und Werk der Künstlerin mit einem Essay der Theaterwissenschaftlerin Marion Linhardt, in dem sie vor allem ihr schauspielerisches Wirken und die Rezeption beleuchtet.

Wie schon die Mayseder-Studie ist dieses Buch ein faktenreiches Nachschlagewerk. Möge es Musikerinnen und Musiker anregen, ihre 71 Werke – oder einige davon – ab und zu in Konzertprogramme aufzunehmen. Und vielleicht erklingt ja eines Tages zur Abwechslung ihr Radetzky-Marsch, op. 14/1 in einem Neujahrskonzert.

Raimund Lissy: Es liegt ein eigener Zauber in diesem Wunderkinde! Constanze Geiger – Komponistin, Pianistin, Schauspielerin aus Wien. Hollitzer Verlag, Wien 2024. 422 Seiten, 45 Euro.
Raimund Lissy hat mit anderen Mitgliedern der Wiener Philharmoniker einige Werke Constanze Geigers aufgenommen und auf seinem Youtube-Kanal bereitgestellt
Bild: Peter Geymayer

 

 

 

 

 

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