Kein Schuss in den Ofen

BUCHBESPRECHUNG / ALBINUS / REVOLVER CHRISTI

25/03/22 Anna Albinus hat für ihre Novelle Revolver Christi den Rauriser Literaturpreis 2022 erhalten. Die Rauriser Literaturtage werden am 30. März mit der Preisverleihung eröffnet. Das Festival dauert bis 3. April und steht unter dem Motto Von Tieren und Menschen. – Hier eine Rezension von Revolver Christi.

Von Andreas Hepp

Dass die Newcomerin Anna Albinus nicht nur den Debutpreis des österreichischen Buchpreises 2021, sondern auch den Rauriser Literaturpreis 2022 zurecht gewonnen hat, beweist ihr Erstling, die Novelle Revolver Christi, in aller Deutlichkeit.

Anna Albinus, Absolventin eines Studiums der Theologie, Judaistik und Kunstgeschichte, bindet dem Leser durch literarische Mehrdeutigkeiten erfolgreich einen Bären auf. Meisterhaft versteht es die Schriftstellerin, ein beklommenes Ziehen zwischen Extrempunkten der Kirchengeschichte im Gegenstand „Revolver“ zu symbolisieren: Glaube und Gewalt. Das tritt schon in der Eröffnung hervor, in welcher das erste Todesopfer, ein Jahrhundert früher, einen Zettel mit der Aufschrift „Verwundet durch die Liebe Christi“ in der Hand trug.

Der nach einigen Seiten unbemerkt in das Geschehene eingeglittene Ich-Erzähler untersucht nun in der Gegenwart und 110 Jahre nach dem ersten Vorfall einen weiteren – unerklärlichen – Schuss. Dieser wurde in der Ausstellung der Reliquie „Revolver Christi“ abgegeben...

Mitten in dem zwischen den beiden Schüssen liegenden historischen Gewirr aus ominösen Geistlichen, okkulten Zeichen und dem Gerücht eines zweiten Revolvers, muss sich der Kriminalbeamte auch noch einer Verstrickung des Falls mit seiner eigenen Familiengeschichte in Deutschland, Kreta und Ägypten stellen.

Wer nun meint, dass Revolver Christi durch diese augenscheinliche Komplexität ein Schuss in den Ofen ist, hat weit gefehlt. Trotz zahlreicher Ort- und Zeitsprünge weiß Anna Albinus den Leser in ihr filigranes Netz aus Wahrheit und Schein zu verstricken. Dabei folgen wir dem Protagonisten ganz persönlich: Wir begleiten ihn ins verlassene Haus der Schwiegereltern zum Gespräch mit seiner Tochter Mara, zu einer Begegnung mit der mysteriösen Stalkerin Johanna Wächter oder auf ein Gläschen Wein mit einem Greis auf Kreta.

Bis zum Schluss bleibt alles offen. Und auch noch darüber hinaus. Denn: Die Autorin bricht ihr Werk nach dem nächtlichen Gespräch zwischen dem Protagonisten und einem unvermuteten neugewonnenen Freund ab. Dieser Mut zur fehlenden Auflösung rundet paradoxerweise den Krimi erst so richtig ab und vermittelt Frische im Althergebrachten. Eine Frische, die der Grundstein für vielleicht eine Fortsetzung, hoffentlich aber auf jeden Fall, für ein weiteres Kunstwerk der Rauriser Preisträgerin 2022 sein könnte.

Anna Albinus: Revolver Christi. Novelle. Edition.fotoTAPETA Berlin 2021. 80 Seiten, 15,50 Euro.
Für DrehPunktKultur berichten Studentinnen und Studenten von Dr. Uta Degner im Rahmen der Lehrveranstaltung „Literaturbetrieb und literarisches Leben in Österreich (Rauriser Literaturtage 2022)“ am Fachbereich Germanistik von den Rauriser Literaturtagen – www.rauriser-literaturtage.at
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